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Lauras Bildnis

Titel: Lauras Bildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Boetius
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Zusammen ergeben sie einen Spiegel, in dem ich mich sehe. Es ist kein schöner Anblick. Sie jedoch hat nichts von ihrer Schönheit verloren. Gewiß, sie hat graue Haare. Doch ist dies nicht die Asche eines Vulkans, der immer noch tätig ist?«
    Monsieur Bazin seufzte und verdrehte die Augen.
    »Ich weiß, wovon ich rede«, fuhr er fort. »Ein ganzes Jahr habe ich diesen Vulkan bewohnt, Francesco. Ich habe an seinem Kraterrand gelebt, und die Glut aus seiner Tiefe hat mich..., hat mich...«
    Er bot einen komischen Anblick, wie er dasaß, sich die wenigen Haare raufte und nach Worten suchte. Francesco war jedoch nicht nach Lachen zumute. Er stand auf und näherte sich Bazin. Er legte ihm schwer die Hand auf die Schulter und sagte mit allem Nachdruck: »Um mit Seneca zu reden: ‘Wer die Liebe abschütteln will, muß jede Erinnerung an den geliebten Gegenstand vermeiden, weil sich nichts so leicht wieder erzeugt wie Liebe.’«
    Monsieur Bazin sah ihn mit einem langen und ruhigen Blick an.
    Er wirkte erleichtert, und es war deutlich, daß er sich von Sekunde zu Sekunde zu entspannen begann. »Du hat es natürlich gelesen, dieses verflixte Buch, diese Fibel für den Liebeskranken, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren hat?«
    »Petrarcas Bekenntnisse! Ein Buch voller Widersprüche.«
    »Weil der Widerspruch die Seele der Liebe ist. Entsinnst du dich an den Satz, von dem gesagt wird, daß er für alle Liebenden gilt: ‘Sie wissen nicht, was sie wollen?’«
    »Ich entsinne mich. Sie wissen, was sie tun, aber sie wissen nicht, was sie wollen. Sie sind sich ihrer Sache so sicher, daß es keine Ziele mehr für sie gibt. Sie wirken auf eine verwirrende Weise orientierungslos. Sie haben alles, was sie brauchen, aber sie wissen einfach nicht mehr, was sie wollen. Das unterscheidet sie von allen Menschen, die nicht von der Krankheit der Liebe befallen sind.«
    Monsieur Bazin hatte die ganze Zeit über genickt. Nun seufzte er tief und hob zugleich wie ein Prediger beschwörend die Hand:
    »Hier aber kannst du nicht genesen! Wo du so viele Spuren deiner Wunden siehst, durch ihren Anblick und die Erinnerung an die Vergangenheit verfolgt wirst! Habe ich richtig zitiert? Und wundert es dich darum nicht, daß ich nach so vielen Jahren immer noch in ihrer Nähe bin und Unkraut zupfe, als seien es Ableger des Glücks, das mir mit ihr entgangen ist?«
    »Ja, dies wundert mich. Ist es nicht so, daß Augustinus dem Francesco in den Bekenntnissen empfiehlt, durch die räumliche Trennung von der Geliebten Genesung zu finden? Eine solche Stelle hast du doch gerade zitiert!«
    »Das ist völlig richtig. Aber du hast eine kleine, jedoch entscheidende Nuance vergessen. Eine Reise allein bringt keine Heilung, sagt Augustin. Und er fährt mit den Worten fort: ‘Wie der kranke Körper zur Aufnahme der Arznei erst vorbereitet werden muß, so mußt du im Geist den alten Eindruck zu verwischen suchen, ehe du ihm neue zuführst.’«
    »Dies ist doch wirklich eine verwirrende Empfehlung. Damit es möglich sein soll, den Geist durch Flucht von seiner Krankheit zu heilen, muß ich ihn schon vorher geheilt haben? Das gibt doch wahrlich keinen Sinn!«
    »Ja. So argumentiert Francesco Petrarca auch. Er benutzt fast deine Worte. Und Augustinus antwortet ihm folgendermaßen: ‘Ich sagte nicht, daß du den Geist vorher heilen, sondern ihn zur Heilung vorbereiten sollst. Ist dies geschehen, wird dir die Reise volle Genesung bringen, geschieht es aber nicht, so wird sie dir nur Anreiz zu neuem Schmerz bringen.’ Sieh dich doch selber an. Ich habe dich in all den Wochen beobachtet. Du wirktest zwar ruhig, vielleicht sogar allzu ruhig; du machtest den Eindruck, dein seelisches Gleichgewicht gefunden zu haben, jedoch konnte dieser Eindruck mich nicht täuschen. Du bist in Wirklichkeit unruhiger denn je. Du hast dich zwar mit Sonne und Wind betäubt, und mit Rotwein und Pastis obendrein, doch in dir lauert das Verlangen, deine Geliebte wiederzusehen, stärker denn je. Ich sage dir, du hast es versäumt, deinen Geist auf die Heilung vorzubereiten.«
    Einen Augenblick überlegte Francesco, ob Monsieur Bazin ihn aus Eifersucht loswerden wollte, weil er die Geste von Madame Régusse beobachtet hatte. Doch Bazin fiel ihm mit folgenden Worten in seine Gedanken: »Ich empfehle dir, entweder für immer hier zu bleiben und als zusätzliches Mittel einige kleine Liebschaften einzugehen, ganz wie es Augustinus ebenfalls dem Petrarca empfiehlt. Die alte Liebe

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