Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
diese zwei Dinge sich an die erste Stelle in meiner Liste verirren konnten. Es sieht wirklich aus wie eine der Verkehrtheiten der guten Dame Natur; und die, welche sich um sie bemühen, sind deshalb ebenso dabei interessiert, den Grund ihrer Launen zu entdecken wie ich.
Wenn ich diese Merkwürdigkeiten gesehen habe, sagte ich, wobei ich mich halb an den hinter mir stehenden valet de place wendete – dann wird es kein Schaden sein, wenn wir nach der Kirche des h. Irenäus gehen und den Pfeiler besichtigen, an welchen Christus gebunden ward, – und dann das Haus, in welchen Pontius Pilatus lebte. – Das sei in der nächsten Stadt – sagte der Lohndiener – in Vienne. – Das freut mich, sagte ich, indem ich rasch von meinem Stuhle aufstand und mit doppelt so großen Schritten als gewöhnlich durch das Zimmer ging, – um so früher werde ich an dem Grab der beiden Liebenden sein.
Welches die Ursache dieser Bewegung war, und warum ich so große Schritte machte, als ich Obiges äußerte, – könnte ich gleichfalls den Naturforschern zu entscheiden überlassen; da jedoch kein Uhrwerk-Grundsatz dabei in Frage kommt, – wird es für den Leser das Gleiche sein, wenn ich es selbst erkläre.
232. Kapitel
O es ist eine süße Periode im Leben des Menschen, wenn das Gehirn noch zart und faserig und mehr als irgend etwas der Pappe ähnlich ist – und man dann eine Geschichte von zwei Verliebten liest, die durch grausame Eltern und ein noch grausameres Schicksal von einander getrennt sind –
Amandus
Amanda
–
–
Er,
Sie, –
und keines weiß, wohin das Andere verschlagen ist;
Er
Sie
–
–
nach Osten,
nach Westen;
worauf dann Amandus von den Türken gefangen und an den Hof des Kaisers von Marokko geschleppt wird, wo sich die Prinzessin von Marokko in ihn verliebt und ihn zwanzig Jahre lang wegen seiner Liebe zu Amanda gefangen hält – während Sie (Amanda) während dieser ganzen Zeit barfuß und mit aufgelösten Haaren über Felsen und Gebirge wandert und immer nach Amandus fragt, – Amandus! – Amandus! und jeden Berg und jedes Tal zum Echo seines Namens macht –
Amandus! Amandus!
und in jeder Stadt und jedem Flecken trostlos am Tore sitzt und fragt: – Ist mein Amandus – mein Amandus nicht hierher gekommen? – bis sie beide rund und rund um die Welt gegangen sind, und der Zufall sie unerwartet in der gleichen Minute in der Nacht aber von entgegengesetzter Seite her an das Tor von Lyon, ihrer Vaterstadt, führt, wo sie mit wohlbekannter Stimme laut
Ist Amandus
Ist meine Amanda
}
}
noch am Leben?
rufen, sich in die Arme stürzen und tot vor Freude niedersinken –
Es ist, sage ich, eine süße Periode im Leben eines jeden edeln Sterblichen, wo eine solche Geschichte dem Gehirne mehr pabulum (Futter) bietet, als all der altertümliche Plunder, den die Reisenden zu dem Ende zusammenkochen.
Dies Alles stand in meinem eigenen Gehirn auf der rechten Seite, da wo es Spon und andere Schriftsteller in ihren Berichten über Lyon eingepresst hatten, und da ich überdies Gott weiß in welcher Reisebeschreibung fand, – dass ein der Treue des Amandus und der Amanda geweihtes Grab außerhalb der Tore erbaut worden sei, wo sich bis zur heutige Stunde Liebende zusammenfänden, um sich ihre Treue zu beteuern, – so geriet ich nie in meinem Leben in einen Handel dieser Art, ohne dass dies Grab der Liebenden auf eine oder die andere Weise am Schlusse auftrat; ja es hatte eine solche Macht über mich gewonnen, dass ich selten an Lyon denken oder davon sprechen, – bisweilen sogar nicht einmal eine Lyoner Weste betrachten konnte, ohne dass dieser Rest des Altertums vor meine Phantasie trat; und oft sagte ich in meinem wilden Dreinfahren, – und ich fürchte mit einigem Mangel an Ehrerbietung – ich halte diesem Schrein trotz seiner Vernachlässigung für so schätzbar wie den von Mecca und um so wenig geringer (ausgenommen an Pracht) als die Casa santa in Loretto, dass ich einmal eigens um ihn zu besuchen eine Pilgerfahrt dahin machen möchte (wenn ich auch sonst in Lyon nichts zu tun hätte.)
In meiner Liste der Sehenswürdigkeiten von Lyon war dieser Gegenstand also der letzte, aber nicht der unwichtigste. Nachdem ich daher ein oder zwei Dutzend grössere Schritte als gewöhnlich durch mein Zimmer getan hatte, als mir dies eben durch den Kopf ging, stieg ich ruhig nach dem Hof hinab, um mich auf den Weg zu machen. Ich hatte inzwischen auch meine Rechnung verlangt, und da
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