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Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)

Titel: Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Sterne
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grösser wurde die Gier und Ungeduld seines Durstes; so dass noch ehe das erste Jahr seiner Krankheit um war, es kaum eine befestigte Stadt in Italien oder Flandern gab, von der er sich nicht auf irgend eine Weise einen Plan verschafft hatte, den er alsbald studierte und sorgfältig mit der Geschichte ihrer Belagerung, Zerstörung, Verstärkung und Vergrösserung verglich, was er mit solch energischem Fleiß und so tiefem Vergnügen tat, dass er darüber sich selbst, seine Wunde, seine Abschließung, ja sein Essen vergaß.
    Im zweiten Jahre kaufte mein Onkel Toby die Übersetzungen aus dem Italienischen von Ramelli und Cataneo; dann kamen Stevinus, Moralis, Chevalier de Ville, Lorini, Coehorn, Sheeter, Graf Pagan, Marschall Vauban, Monsieur Blondel und sonst fast noch so viele Bücher über Kriegsbaukunst, als einst bei Don Quijote über das Rittertum gefunden wurden, als der Pfarrer und der Barbier in seine Bibliothek eindrangen.
    Gegen Anfang des dritten Jahres, im August neunundneunzig fand es mein Onkel Toby unerlässlich, auch ein wenig von der Ballistik zu verstehen; und da er es fürs beste hielt, seine Kenntnis gleich an der Hauptquelle zu schöpfen, so begann er mit N. Tartaglia, der zuerst die Entdeckung gemacht zu haben scheint, dass es eine Täuschung sei, wenn man glaube, eine Kanonenkugel verübe all ihr Unheil, indem sie sich in einer geraden Linie bewege. – Dies sei, bewies N. Tartaglia meinem Onkel Toby, ein Ding der Unmöglichkeit.
    – Die Erforschung der Wahrheit ist doch ein endloses Geschäft.
    Sobald mein Onkel Toby darüber im Klaren war, welchen Weg eine Kanonenkugel nicht mache, sah er sich unvermerkt dahin geführt, und beschloss in seinem Herzen, nachzuforschen und den Weg herauszufinden, den die Kugel wirklich mache; zu welchem Zweck er sich aufs Neue an den alten Maltus machte und ihn eifrigst studierte. – Dann kam er an Galileo und Torricellius, in denen er auf Grund gewisser geometrischer, unfehlbar dargelegter Regeln fand, dass jener Weg genau eine Parabel – oder auch eine Hyperbel sei – und dass der Parameter oder latus rektum des Kegelschnitts besagten Wegs in demselben Verhältnis zur Quantität und zum Umfang stehe, wie die ganze Linie zu dem Sinus des doppelten Einfallswinkels, der durch das Bodenstück mit einer horizontalen Ebene gebildet werde: – und dass der Halbparameter – Halt jetzt, lieber Onkel Toby! – Halt! – geh nicht einen Schuh weiter auf diesem dornenvollen und irreführenden Pfade – verwickelt sind die Treppen! verwickelt die Irrgänge dieses Labyrinths! verwickelt die Verlegenheiten, welche die Verfolgung jenes reizenden Trugbilds Wissen über dich bringen werden. – O Onkel! – fliehe – fliehe – fliehe vor demselben wie vor einer Schlange! – Ist es gut – du Ehrlicher, dass du mit der Wunde an deinem Schambein ganze Nächte aufsitzest und dein Blut durch zehrende Nachtwachen erhitzest? – Ach! das wird deine Zufälle verschlimmern – deine Ausdünstungen hemmen – deine Lebensgeister verflüchtigen – deine animalische Kraft verbrauchen – deine Lebenssäfte vertrocknen – dir Verstopfung zuziehen – deine Gesundheit schädigen und alle Schwächen des Alters beschleunigen. – O mein Onkel! mein Onkel Toby!
     
    29. Kapitel
    Ich gebe Einem nicht einen Groschen für seine Kenntnis der Macht der Feder, wenn er nicht begriffe: – dass die beste einfache Erzählung von der Welt, welche hart an die letzte lebhafte Apostrophe an meinen Onkel Toby angefügt würde – dem Gaumen des Lesers kalt und schal hätte erscheinen müssen; – ich machte deshalb diesem Kapitel ein Ende, obschon ich mitten in meiner Geschichte war.
    – Schriftsteller meiner Art haben einen Grundsatz mit Malern gemein. Wo ein genaues Wiedergeben unser Gemälde weniger effektvoll machen würde, wählen wir das geringere Übel; und halten es für verzeihlicher gegen die Wahrheit als gegen die Schönheit zu sündigen. Dies ist cum grano salis zu verstehen; doch möge dem sein wie ihm wolle – da die Parallele mehr deshalb gezogen wurde, um die Apostrophe einstweilen verkühlen zu lassen als aus einem anderen Grunde – so ist es nicht von großer Bedeutung, ob der Leser sie aus irgend einem andern Grunde gut heißt oder nicht.
    Als mein Onkel Toby gegen Ende des dritten Jahres bemerkte, dass der Parameter und Halbparameter des Kegelschnitts seine Wunde verschlimmerte, gab er das Studium der Ballestik mit einigem Gepolter auf und warf sich ausschließlich auf

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