Laurence Sterne: Tristram Shandy (Jubiläumsausgabe zum 300. Geburtstag des Autors) [kommentiert] (German Edition)
kommt einzig von der raschen Aufeinanderfolge unserer Ideen her.
Mein Vater, der wie alle Philosophen die Wut hatte, über Alles was ihm aufstieß zu räsonieren und es zu erklären zu suchen, – hatte sich bereits ein ungeheures Vergnügen davon versprochen, sich über die Ideenfolge auszusprechen. Es fiel ihm nicht im Schlafe ein, dass mein Onkel Toby ihm die Sache so aus der Hand winden würde, denn dieser Biedermann nahm alle Dinge in der Regel wie sie kamen, – und plagte sein Gehirn mit nichts weniger auf der Welt als mit dunkeln Ideen – mit den Gedanken von Zeit und Raum – oder mit der Frage wie wir zu diesen Gedanken kämen – oder aus welchem Stoffe sie bestünden – oder ob sie mit uns geboren seien – oder ob wir sie später unterwegs wo aufgeschnappt – ob wir es im Kinderröckchen getan – oder erst nach dem wir Hosen bekommen, – nebst noch tausend andern Fragen und Betrachtungen über Unendlichkeit, Vorherwissen, Freiheit, Notwendigkeit u. s. w., über welchen verzweifelten und nicht zu bewältigenden Ideen schon so manche feine Köpfe sich verdrehten und zerbrochen wurden – dem Allem tat mein Onkel Toby nie das Geringste; das wusste mein Vater – und war deshalb ebenso erstaunt als verblüfft über meines Onkels zufällig Lösung der Frage.
Kennst du die Theorie, die dieser Sache zu Grunde liegt? erwiderte mein Vater.
O nein, sagte mein Onkel.
Aber du hast doch eine gewisse Idee, von dem was du gesagt hast? fuhr mein Vater fort.
So wenig wie mein Pferd, erwiderte mein Onkel Toby.
Guter Gott! rief mein Vater, indem er nach Oben sah und die Hände zusammenschlug, – es liegt ein gewisser Wert in deiner ehrlichen Unwissenheit, Bruder Toby; – fast ist es Schade, sie gegen die Kenntnis umzutauschen. – Ich will dir aber sagen, wie die Sache ist.
Um zu verstehen, was Zeit eigentlich ist, ohne welchen Begriff wir die Unendlichkeit nie verstehen können, da jene ein Teil dieser ist – müssen wir ernstlich in Betracht ziehen, welchen Begriff wir von einer Dauer haben, um uns Rechenschaft darüber geben zu können, wie wir dazu gelangten. – Zu was soll denn das gut sein? fragte mein Onkel Toby. – Denn wenn du deinen Blick auf dein Inneres heftest, fuhr mein Vater fort, und es aufmerksam beobachtest, so wirst du finden, Bruder, dass während du und ich miteinander sprechen und denken und unsere Pfeifen rauchen, oder während wir nach und nach Ideen in uns aufnehmen, wir bewusst sind, dass wir existieren; und so betrachten wir unsere Existenz oder die Fortdauer derselben, oder von irgend etwas, nach dem Maßstab der Ideenfolge in unserem Innern, der Dauer unserer selbst oder irgend eines anderen Dings, das mit unserem Denken coexistiert; so folgt aus dem Vorgedachten – mir steht der Verstand still! rief mein Onkel Toby.
Daher kommt es, versetzte mein Vater, dass wir bei unserer Berechnung der Zeit so an Minuten, Stunden, Wochen und Monate – und an Uhren gewöhnt sind (ich wollte, es gäbe im ganzen Königreiche keine Uhr), um ihre einzelnen Teile und uns unseren Angehörigen zuzumessen – dass es gut gehen muss, wenn uns für die Zukunft die Folge unserer Ideen überhaupt zu irgend etwas nutz sein soll.
Nun findet aber, fuhr mein Vater fort, ob wir es nun beobachten oder nicht, in jedes gesunden Mannes Kopf eine regelmäßige Ideenfolge irgend einer Art statt, welche Ideen einander gerade so folgen wie ein Zug – wie ein Zug Artillerie? fragte mein Onkel Toby. – Ein Zug Unsinn! – sagte mein Vater, – welche einander in unserem Geist auf gewisse Entfernungen folgen, gerade wie die Bilder im Innern einer Laterne, welche durch die Wärme eines Lichts herum gedreht werden. – Da muss ich sagen, rief mein Onkel Toby aus, in meiner Laterne sind es lauter Rauchbilder. – Dann Bruder Toby, sagte mein Vater, habe ich dir nichts mehr über die Sache zu sagen.
63. Kapitel
Welch' eine herrliche Konjunctur ging auf diese Art verloren! – Mein Vater war in seiner besten Erklärerlaune – in eifrigster Verfolgung eines metaphysischen Ziels bis in die Regionen, wo es sich bald in Wolken und dichter Finsternis verloren hätte; – mein Onkel Toby in einer der schönsten Stimmungen von der Welt; – sein Kopf wie eine Rauchlaterne – der Rauchfang ungeputzt, die Ideen schwirrten darin umher, vollständig dunkel und mit Rußstoff geschwärzt! – Beim Grabmal Lucians – wenn er eines hat; – wo nicht, bei seiner Asche! bei der Asche meines teuern Rabelais, meines noch
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