Lausbubengeschichten
ich aber an die Marie gedacht hatte, wußte ich nicht
einmal das Kapitel, wo wir standen, und da kriegte ich einen
brennroten Kopf. Dem Professor fiel das auf, da er immer
Verdacht gegen mich hatte, und er ging auf mich zu.
Ich blätterte hastig herum und gab meinem Nachbar ei-
nen Tritt. „Wo stehen wir? Herrgottsakrament!“ Der dumme
Kerl flüsterte so leis, daß ich es nicht verstehen konnte, und
der Professor war schon an meinem Platz. Da fiel auf einmal
der Brief aus meinem Caesar und lag am Boden.
Er war auf Rosapapier geschrieben und mit einem wohl-
riechenden Pulver bestreut.
Ich wollte schnell mit dem Fuße darauf treten, aber es
ging nicht mehr. Der Professor bückte sich und hob ihn auf.
Zuerst sah er mich an und ließ seine Augen so weit her-
aushängen, daß man sie mit einer Schere hätte abschneiden
können. Dann sah er den Brief an und roch daran, und dann
nahm er ihn langsam heraus. Dabei schaute er mich immer
durchbohrender an und man merkte, wie es ihn freute, daß
er etwas erwischt hatte.
Er las zuerst laut vor der ganzen Klasse.
„Innig geliebtes Fräulein! Schon oft wollte ich mich Ihnen
nahen, aber ich traute mich nicht, weil ich dachte, es könnte
Sie beleidigen.“
Dann kam er an die Stelle vom Sacktuch, und da mur-
melte er bloß mehr, daß es die andern nicht hören konnten.
Und dann nickte er mit dem Kopfe auf und ab, und dann
sagte er ganz langsam:
„Unglücklicher, gehe nach Hause. Du wirst das Weitere
hören.“
Ich war so zornig, daß ich meine Bücher an die Wand
schmeißen wollte, weil ich ein solcher Esel war. Aber ich
dachte, daß mir doch nichts geschehen könnte. Es stand
nichts Schlechtes in dem Brief; bloß daß ich verliebt war. Das
geht doch den Professor nichts an.
Aber es kam ganz dick.
Am nächsten Tag mußte ich gleich zum Rektor. Der hatte
sein großes Buch dabei, wo er alles hineinstenographierte,
was ich sagte. Zuerst fragte er mich, an wen der Brief sei. Ich
sagte, er sei an gar niemand. Ich hätte es bloß so geschrieben
aus Spaß. Da sagte er, das sei eine infame Lüge, und ich wäre
nicht bloß schlecht, sondern auch feig.
Da wurde ich zornig und sagte, daß in dem Briefe gar
nichts Gemeines darin sei, und es wäre ein braves Mädchen.
Da lachte er, daß man seine zwei gelben Stockzähne sah,
weil ich mich verraten hatte. Und er fragte immer nach dem
Namen. Jetzt war mir alles gleich, und ich sagte, daß kein
anständiger Mann den Namen verrät, und ich täte es nie-
mals. Da schaute er mich recht falsch an und schlug sein
Buch zu. Dann sagte er: „Du bist eine verdorbene Pflanze
in unserem Garten. Wir werden dich ausreißen. Dein Lügen
hilft dir gar nichts; ich weiß recht wohl, an wen der Brief ist.
Hinaus!“
Ich mußte in die Klasse zurückgehen, und am Nachmit-
tag war Konferenz. Der Rektor und der Religionslehrer woll-
ten mich dimittieren. Das hat mir der Pedell gesagt. Aber die
andern halfen mir, und ich bekam acht Stunden Karzer. Das
hätte mir gar nichts gemacht, wenn nicht das andere gewe-
sen wäre.
Ich kriegte einige Tage darauf einen Brief von meiner
Mama. Da lag ein Brief von Herrn von Rupp bei, daß es ihm
leid täte, aber er könne mich nicht mehr einladen, weil ihm
der Rektor mitteilte, daß ich einen dummen Liebesbrief an
seine Tochter geschrieben habe. Er mache sich nichts daraus,
aber ich hätte sie doch kompromittiert. Und meine Mama
schrieb, sie wüßte nicht, was noch aus mir wird.
Ich war ganz außer mir über die Schufterei; zuerst weinte
ich, und dann wollte ich den Rektor zur Rede stellen; aber
dann überlegte ich es und ging zu Herrn von Rupp.
Das Mädchen sagte, es sei niemand zu Hause, aber das
war nicht wahr, weil ich heraußen die Stimme der Frau von
Rupp gehört habe. Ich kam noch einmal, und da war Herr
von Rupp da. Ich erzählte ihm alles ganz genau, aber wie ich
fertig war, drückte er das linke Auge zu und sagte: „Du bist
schon ein verdammter Holzfuchs. Es liegt mir ja gar nichts
daran, aber meiner Frau.“ Und dann gab er mir eine Zigarre
und sagte, ich solle nun ganz ruhig heimgehen.
Er hat mir kein Wort geglaubt und hat mich nicht mehr
eingeladen, weil man es nicht für möglich hält, daß ein Rek-
tor lügt.
Man meint immer, der Schüler lügt.
Ich habe mir das Ehrenwort gegeben, daß ich ihn durch-
haue, wenn ich auf die Universität komme, den kommunen
Schuften.
Ich bin lange nicht mehr lustig gewesen. Und einmal bin
ich dem
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