Lausbubengeschichten
deinem Gehalt.“
„Das gehört nicht hierher,“ sagte der Onkel, „was soll der
Bursche denken, wenn du seine Aufmerksamkeit ablenkst.“
„Er wird denken, daß er dir noch mehr stiehlt, wenn du
soviel Geld in den Hosensack steckst“, sagte die Tante. „Wer
weiß, wieviel er schon genommen hat. Du natürlich weißt
es nicht, weil du ja nicht acht gibst, als hättest du das Gehalt
von einem Präsidenten.“
„Ich habe bloß einmal die sechzig Pfennig genommen“,
sagte ich.
„Es waren wenigstens zwei Mark,“ sagte der Onkel, „aber
ich verzeihe dir, wenn du es aufrichtig bereust und gegen die-
sen Fehler ankämpfen willst. Du mußt den heiligen Vorsatz
fassen, daß du es nie mehr tust und die Versuchung meidest
und meinen Hosensack nie mehr aussuchst.“
Ich war furchtbar zornig, aber ich durfte es nicht merken
lassen. Ich dachte, wenn die Kommunion vorbei ist, dann
will ich ihn schon ärgern, daß er blau wird. Vielleicht mache
ich seine Goldfische kaputt oder etwas anderes.
Es waren bloß mehr fünf Tage.
Der Tante Frieda ihre Anna durfte heuer auch zum er-
stenmal zur Kommunion gehen, und sie haben ein ekelhaftes
Getu mit ihr. Die Anna ist eine falsche Katze, und ich habe
sie nie leiden mögen, aber jetzt bin ich noch giftiger auf sie,
weil die Tante Frieda immer von ihr redet und sich so dick
macht damit.
Die Tante Frieda ist die beste Freundin von der Tante
Fanny, und sie sagen allemal etwas über meine Mutter, wenn
sie beisammen sind.
Am Abend ist die Tante Frieda öfter gekommen, und wie
sie einmal gehört hat, daß wir Andachtsübungen machen,
hat sie zum Onkel Pepi gesagt: „Du tust ein gutes Werk an
dem Burschen; ich fürchte bloß, daß es nicht viel hilft.“
Und dann fragte sie mich, ob ich mich auf die heilige
Handlung ordentlich vorbereite.
Ich sagte, daß ich schon zwei Wochen mich vorbereite.
„Vorbereiten und vorbereiten ist ein Unterschied. Ach Gott“,
sagte sie, „ich weiß nicht, mein Ännchen flößt mir beinahe
Angst ein. So durchgeistigt kommt sie mir vor und so ange-
griffen von dem Gedanken an ihre erste Kommunion. Und
denkt euch nur, wie das Kind spricht! Am letzten Freitag
wollte ich ihr ein bißchen Fleischsuppe geben, weil sie doch
schwächlich ist. Aber sie hat es um keinen Preis nicht ge-
nommen. Ich sagte, es ist doch eine Kleinigkeit. ‚Nein,‘ sagte
sie, ‚liebe Mutter, kann das eine Kleinigkeit sein, was Gott
beleidigt?‘ Und ihre Augen glänzten ganz dabei. Mir ist ganz
anders geworden. Liebe Mutter, hat sie gesagt, kann das eine
Kleinigkeit sein, was Gott beleidigt?“
Tante Fanny war erstaunt und nickte mit dem Kopfe auf
und ab, und der Onkel Pepi machte große Augen auf mich
und hatte Wasser darin. Er sagte zu mir: „Hörst du das?“
Ich sagte, daß ich es schon gelesen habe, weil es eine Hei-
ligengeschichte ist, die wo in unserem Vorbereitungsbuche
steht.
Tante Frieda ärgerte sich furchtbar, daß ich es wußte. Sie
sagte, daß sie es nicht glaubt, weil ich immer lüge, aber wenn
es wahr ist, dann macht es auch nichts, weil man sieht, daß
Ännchen die Moral in sich aufgenommen hat.
Und sie erzählte, daß Anna gestern nicht geschlafen hat
und weinend im Bett gesessen ist. „Was hast du, Kind?“ hat
sie gefragt. „Ich habe ein Stück Brotrinde gegessen“, hat Anna
gesagt. „Warum sollst du keine Brotrinde nicht essen?“ hat
die Tante Frieda gefragt. „Weil das Essen schon vorbei war,
und die Brotrinde war nicht für mich bestimmt, das war ein
Unrecht, und ich habe so fest vorgehabt, daß ich keine Sünde
mehr begehe“, hat die Anna gesagt, und sie hat noch mehr
geweint. „So ist das Kind,“ sagte die Tante Frieda, „sie kommt
mir oft überirdisch vor, und ich kann sie nicht beruhigen.“
„Es gibt Kinder, welche zwei und drei Mark aus einem Ho-
sensacke stehlen und keine Unruhe verspüren“, sagte Onkel
Pepi. Und die Tante Frieda wußte es schon von der Tante
Fanny und sagte: „Es ist der Fluch der milden Erziehung.“
Das habe ich alles hören müssen, und ich war froh, wie
der Kommuniontag da war. Meine liebe Mutter hat mir ei-
nen schwarzen Anzug geschickt und eine große Kerze.
Sie hat mir geschrieben, daß es ihr weh tut, weil sie nicht
dabei sein kann, aber ich soll mir vornehmen, ein anderes
Leben anzufangen und ihr bloß Freude zu machen.
Das habe ich mir auch vorgenommen.
Wir waren vierzehn Erstkommunikanten von der Latein-
schule, und die Frau Pedell hat
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