Lauschangriff - Im Visier der Feinde
die unterschiedlichen Operationszentralen zu schweifen, mehr Zeit mit dem Grübeln als mit dem Reden und wesentlich mehr Zeit damit, richtige Schlüsse zu ziehen statt wild draufloszuspekulieren. Er war das Musterbeispiel eines Nachrichtenoffiziers, für die Aufgabe wie geschaffen und mit der Gabe gesegnet, weitreichende internationale Verwicklungen zu überblicken.
Jimmy, der in Amerika geborene Sohn australischer Eltern aus Marine- und Diplomatenkreisen, hatte seinen australischen Singsang nie abgelegt. Sein Büro war laut des kürzlich in den Ruhestand verabschiedeten ehemaligen NSA-Chefs und späteren Berater des Präsidenten Admiral Arnold Morgan der Ort, »wo der Typ vom Snowy River auf James Bond trifft«.
Mit der Pensionierung des letzten NSA-Chefs Admiral George Morris hatten sich die Leiter der einzelnen Abteilungen nahezu einstimmig dafür ausgesprochen, Commander Ramshawe in den Führungssessel zu hieven; denn sollte er übergangen werden und die Agency verlassen, hätte es gut und gern zehn Jahre gedauert, bis ein anderer in seine Fußstapfen hätte treten können.
Der junge Australo-Amerikaner konnte auf eine bunte Vergangenheit zurückblicken. Sein Vater, Admiral der australischen Marine, war zum Militärattaché an der Washingtoner Botschaft aufgestiegen und hatte sich mit Arnold Morgan angefreundet.
Der große schlaksige James war in Connecticut zur Schule gegangen, wurde zu einem herausragenden Baseball-Pitcher und ging später zur Marineakademie in Annapolis. Doch schnell wurde erkannt, dass Ramshawes überdurchschnittliche Intelligenz und seine Detailbesessenheit sowie die unermüdliche Hingabe an seine Arbeit ihn zu einem idealen Nachrichtenoffizier machten. Jimmy war darüber alles andere als erfreut, sah er sich doch eher als potenziellen Kommandeur einer Trägergruppe und nicht, wie er es formulierte, als »so einen beschissenen George Smiley, der mit einem Haufen Bekloppter in Maryland sitzt und im verfluchten Kreml herumschnüffelt.«
Aber die Navy meinte es ernst. Zwei sehr, sehr hochrangige Admiräle sprachen mit seinem Vater, und das Auswahlkomitee bot James eine dreijährige Dienstzeit in Fort Meade mit der Option an, ihn anschließend im Dienstrang eines Lieutenant Commander in die Navy zu übernehmen, falls es ihm nicht gefallen sollte. Ramshawe Senior erklärte seinem Sohn, er müsse verrückt sein, wenn er das Angebot ausschlug, woraufhin sich Jimmy pflichtgemäß bei der National Security Agency zum Dienst meldete, wo Direktor Morris genau zwei Monate brauchte, um in ihm den vielleicht besten Nachrichtenoffizier zu erkennen, dem er jemals begegnet war.
Ramshawe war damit beim weltgrößten und mächtigsten Geheimdienst der Welt beschäftigt: einem riesigen, globalen Abhörcenter, in dem 95 verschiedene Sprachen gesprochen wurden, dazu sämtliche arabische Dialekte, unter ihnen jene aus dem Irak, aus Libyen, Syrien, Saudi-Arabien und Jordanien.
Insgesamt 39
000 Mitarbeiter standen auf der Lohnliste der NSA. Sie arbeiteten auf dem ausgedehnten Gelände hinter kugelsicheren Glaswänden, in Gebäuden, die mit rasiermesserscharfem Stacheldraht geschützt waren. Mit der Wachmannschaft hätte man die Rote Armee aufhalten können, und nach Einschätzung des Militärs betrug die Lebenserwartung eines unbefugten Eindringlings zwischen 25 und 35 Sekunden.
Auf dem Führungssessel saß nun also Commander James Ramshawe, der einstige Rekrut aus Annapolis, der erst als »Liebling der Ausbilder« angefangen hatte, bevor er sich mit seinem Eifer den tiefsten Respekt des gesamten militärischen Nachrichtendienstes erworben hatte.
Seine lockere australische Art machte ihn zu einem der beliebtesten Direktoren aller Zeiten. Er ließ es sich nicht nehmen, jeden, vom Gärtner bis zum Fünf-Sterne-General, als »Kumpel« anzusprechen.
Mehr als jeder andere im Land wünschte CIA-Boss Bob Birmingham eine Unterredung mit dem NSA-Boss, denn das war genau eines der Probleme, die für Jimmy wie geschaffen waren: Wie sollte man vier gefährliche, aber unauffällige Terroristen überwachen, die sich bald in den Norden von Pakistan aufmachen würden, um dort mit ziemlicher Sicherheit in einem El-Kaida-Camp im Swat-Tal unterzutauchen?
Die Fragen prasselten auf Birmingham nur so ein: Hängen wir uns an sie dran? Wenn ja, wer übernimmt das? Und lassen wir unseren Mann in ihrer Nähe? Oder warten wir ab, bis sie zu einem Anschlag auf den Großen Satan in den Westen zurückkehren? Können wir einen Spion
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