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Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharp
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beachten, er solle gefälligst die Leiter wieder aufstellen, damit er herunterkommen und weiterarbeiten könne.
    »Herrgott noch mal, sorgen Sie dafür, dass er die Leiter wieder hinstellt«, schrie der Mann. »Ich sitze schon seit vierzig Minuten hier oben in Ihrem Schlafzimmer fest, und ich hab heute noch fünfzehn andere Häuser zu erledigen. Dieser verdammte Kerl …«
    Mrs. Wiley packte Horace und zerrte ihn ins Haus und die Treppe hinauf zum Schlafzimmer. Sie schloss die Tür auf, stieß ihn hinein und ließ den Fensterputzer hinaus. Danach hatte sie sich etwas zubereitet, was sie unter normalen Umständen als »eine schöne Tasse Tee« bezeichnen würde, und hatte versucht nachzudenken. Wenigstens fuhr Esmond zu den Ponsons, und offensichtlich würde sie … nein, sie konnte nicht zulassen, dass ein Psychiater Horace zu Gesicht bekam. Wenn er im Irrenhaus landete, würde er seinen Job in der Bank verlieren, oder sogar schon dann, wenn herauskam, dass er einen Nervenzusammenbruch gehabt hatte. »Irrenhaus« war nicht der politisch korrekte Begriff, den sie in vornehmer Gesellschaft verwendet hätte; in Horaces Fall jedoch schien er völlig angemessen, er war irre.
    Da all diese Gedanken wie wild in dem herumwirbelten, was von ihrem Verstand noch übrig war, überraschte es wohl schwerlich, dass sie noch gefährlicher und kopfloser fuhr als gewöhnlich, was Esmond in einen Zustand der Todesangst und der nervlichen Erschöpfung versetzte.
    Als sie den Bungalow der Ponsons erreichten, hatte es ihm praktisch die Sprache verschlagen. Sie wurden von Onkel Albert begrüßt, der vor falscher Leutseligkeit nur so übersprudelte. Im Hintergrund war Belinda sehr viel weniger enthusiastisch und bot ihnen schließlich in einem Tonfall Tee an, der besagte, dass dies das Letzte war, was sie offerieren wollte.
    »Und jetzt kommt rein und fühlt euch ganz wie zu Hause«, drängte Albert. Vera jedoch war zu durcheinander, um dieses Angebot anzunehmen.
    »Ich muss unbedingt nach Hause zu dem armen Horace. Er ist in einem schrecklichen Zustand«, wehrte sie ab, drückte Esmond an ihren fülligen Busen und brach prompt in Tränen aus. Dann riss sie sich los, küsste ihren Sohn, dem das höchst peinlich war, auf den Mund und wandte sich von ihrem geliebten Jungen ab. Einen Augenblick später war sie auf dem Rückweg nach Croydon und zu ihrem offenkundig dementen Ehemann.

12
     
    Horace hatte in Veras Abwesenheit einen fantastischen Tag verbracht. Die Aussicht, ihren geliebten Sohn an diese grauenvolle Belinda zu verlieren, hatte sie so sehr aufgeregt, dass sie vergessen hatte, den Schlüssel der Schlafzimmertür abzuziehen, und es war Horace gelungen, ihn aus dem Schlüsselloch auf ein Blatt Zeitungspapier zu stoßen und dieses ins Schlafzimmer zu ziehen. Fünf Minuten später hatte er seinen Rasierer im Bad gefunden, wo Vera ihn versteckt hatte. Er rasierte sich, dann schloss er, in seinem besten Anzug und mit einem hastig gepackten Koffer in der Hand, die Schlafzimmertür ab, steckte den Schlüssel ein und verließ mit einem Lächeln auf dem Gesicht eilig das Haus.
    Es war mehr als ein Lächeln, es war ein Ausdruck des Triumphs. Zum ersten Mal seit seiner Hochzeit fühlte sich Horace Wiley wie ein freier Mann, ein neuer Mensch, ein Mann ohne die schreckliche emotionale Schuldenlast, die ihm seine verdammte Frau aufgebürdet hatte.
    Die Woche im Bett zu verbringen und Wahnsinn vorzutäuschen – nachts auf und ab zu tigern und jedes Mal irre zu lachen, wenn er glaubte, dass Vera lauschte – hatte ihm Gelegenheit zum Nachdenken gegeben. Er hatte beschlossen, dass das Maß endlich voll war. Er war fertig mit Vera, mit ihren schrecklichen Verwandten und dieser herumlungernden Bestie von Sohn. Er würde seinen Job in der Bank nicht wieder antreten. Jetzt, wo er seinen Verpflichtungen entkommen war, brauchte er das Gehalt nicht. Jahrelang hatte er in einen privaten Pensionsfonds eingezahlt und eine sogar noch größere Summe, die er an der Börse ergattert hatte, auf einem Nummernkonto in der Schweiz gelagert, beides, ohne seiner verdammten Frau etwas davon zu sagen. Von jetzt an konnte sie selbst sehen, wie sie zurechtkam, sie und ihr grässlicher Sohn.
    Horace schritt die Selhurst Road hinunter, und als er bemerkte, dass er gerade am Swan & Sugar Loaf vorbeikam, einem Pub, den er nie frequentiert hatte und in dem keiner der Gäste ihn erkennen würde, ging er hinein und bestellte sich zur Feier des Tages einen großen

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