Lauter Irre
das Fliegen und wolle stattdessen mit dem Schiff nach Lettland reisen.
»Die Schiffe, die Lettland anlaufen, sind keine Linienschiffe. Das sind im Grunde genommen Gammelfrachter«, erklärte der Angestellte ihm.
»Wieso heißen sie denn Gammelfrachter?«
»Ich dachte immer, weil sie so langsam sind. Und ich muss Sie warnen, die Unterkunft für die Passagiere ist nicht unbedingt etwas, wovon man den Lieben daheim erzählen möchte.«
Horace wollte schon erwidern, den Lieben daheim irgendetwas zu erzählen sei das Letzte, was er vorhätte, doch er behielt diesen Gedanken für sich. Er buchte die Überfahrt und ging mit den Reiseunterlagen hinaus auf die Straße. Besonders freute es ihn, dass der Angestellte lediglich einen flüchtigen Blick auf seinen Pass geworfen und den falschen Namen aufgeschrieben hatte. Alles lief gut.
13
Veras Gefühle waren das genaue Gegenteil von Horaces Euphorie. Für sie wäre der Begriff »unglücklich« mehr als nur die Untertreibung des Jahres gewesen. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so sterbenselend gefühlt, und natürlich gab sie Horace die Schuld daran. Wäre er nicht verrückt geworden, so hätte sie ihr Kind der Liebe niemals fortschicken müssen, zu dieser fürchterlichen Belinda. Die hatte sie noch nie leiden können, und schon vor der Hochzeit hatte sie Albert gesagt, dass er auf eine knallharte und verbitterte Goldgräberin hereingefallen sei, die ihn behandeln würde wie Dreck. Doch er hatte ihre Warnung in den Wind geschlagen, und jetzt sah man ja, wohin ihn das gebracht hatte: Er stand völlig unter ihrer Fuchtel, so sehr, das hatte er ihr erzählt, dass Belinda ihn zwang, die Schuhe auszuziehen, bevor er das Haus betrat, damit er den dicken Teppichboden nicht schmutzig machte.
Als sie die Rückfahrt durch den abendlichen Stoßverkehr – »kriechen« war eine präzisere Bezeichnung als »fahren« – hinter sich gebracht hatte, begleitet vom »Jetzt fahr doch endlich, du blöde Kuh!«-Gebrüll erboster Autofahrer, war Vera erschöpft, sowohl körperlich als auch emotional. Sie sank auf einen Küchenstuhl, legte den Kopf auf den Tisch und brach in Tränen aus. Erschöpft schlief sie ein, erwachte zwei Stunden später und stellte fest, dass die Sonne untergegangen und es in der Küche dunkel war.
Vera machte das Licht an, und obwohl sie überlegte, ob sie hinaufgehen und nach Horace sehen sollte, entschied sie sich dagegen. Das hier war alles seine Schuld. Wäre er nicht zum Alkoholiker geworden, wäre nichts von alldem passiert. Er konnte ohne Abendbrot auskommen. Von ihr aus konnte er auch auf sein Frühstück verzichten. Dieser schreckliche, schreckliche Mann, der ihren geliebten Sohn vertrieben hatte.
Vera hatte ihrerseits keinen Hunger, nichtsdestotrotz war ihr klar, dass sie bei Kräften bleiben musste. Sie öffnete eine Dose mit Baked Beans und röstete Toast, und nachdem sie gegessen hatte, ging sie nach oben in ihr Zimmer und ins Bett.
Kurz bevor sie wegdämmerte, fiel ihr ein, dass die Nachttischlampe in Horaces Schlafzimmer nicht an gewesen war. Nun, wahrscheinlich schlief er. Wie dem auch sei, es war ihr egal. Ihre sämtlichen Gedanken, soweit vorhanden, kreisten um ihren geliebten Sohn.
14
Vera hätte sich die Mühe sparen können. Esmond amüsierte sich bestens. Belinda hatte sich als viel freundlicher erwiesen, als man ihn glauben gemacht hatte.
Bald nach seiner Ankunft hatte Belinda darauf bestanden, dass Esmond seinen blauen Anzug auszog und in etwas Bequemeres schlüpfte – und da sie schnell merkte, dass legere Freizeitkleidung offensichtlich nicht Teil von Esmonds Garderobe war, hatte sie ihm eine von Alberts Jogginghosen geliehen. Die sah zusammen mit Esmonds üblichem Hemd und der Krawatte zwar ein wenig merkwürdig aus, doch er musste zugeben, dass sie wirklich sehr bequem war.
Dann hatte Belinda ihm gezeigt, wie der Jacuzzi funktionierte. Esmond hatte noch nie einen Jacuzzi gesehen und fand, dass das sehr aufregend aussah, obwohl ihm Tante Belindas Begeisterung doch ein wenig peinlich gewesen war, als sie anfing sich auszuziehen und Anstalten machte hineinzusteigen, um es ihm vorzuführen, und er hatte ihre Einladung, sich zu ihr zu gesellen, höflich abgelehnt.
Offen gesagt kam ihm alles in dem Bungalow sowohl aufregend als auch wunderbar modern vor. In seinem Zimmer gab es einen Fernseher und sogar eine kleine Espressomaschine, um Kaffee zu kochen. Und gleich draußen vor dem Haus konnte er einen großen
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