Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharp
Vom Netzwerk:
denken.

11
     
    Am Ende der Woche, nach etlichen schlaflosen Nächten, fuhr Vera Esmond zu dem Angeber-Bungalow ihres Bruders in der Nähe von Colchester. Dabei betonte sie die ganze Fahrt über, wie wichtig es sei, sich anständig zu benehmen und Tante Belinda nichts davon zu erzählen, dass Daddy sich betrunken und versucht hatte, mit einem Küchenmesser auf ihn loszugehen.
    »Das ist etwas, das niemand außer uns wissen darf«, erklärte sie. »Wie du weißt, hat dein Vater in letzter Zeit sehr unter Druck gestanden. Und erzähl ihnen auch nicht, dass er einen Nervenzusammenbruch hatte. Je weniger geredet wird, desto besser.«
    Esmond versprach, dass er nichts sagen würde, behielt jedoch seine wahren Gedanken für sich.
    Diese drehten sich hauptsächlich darum, im selben Haus zu wohnen wie seine Tante Belinda. Heute Morgen hatte er gehört, wie sein Vater gesagt hatte, auch wenn er nicht viel von Onkel Alberts vulgärer Art und seinem fragwürdigen Gebrauchtwagenhandel hielte, so sei er doch wenigstens zum Teil menschlich, etwas, was man von seiner Scheiß-Furie von Ehefrau nicht behaupten könne. Es war so ziemlich das einzige Mal, dass Esmond Horace dieses Schimpfwort hatte benutzen hören, und da er nicht gewusst hatte, was eine Furie war, und die Bedeutung im Wörterbuch hatte nachschlagen müssen, freute er sich nicht gerade darauf, bei ihr zu wohnen.
    Mr. Wiley hatte Belinda außerdem als Xanthippe, als Mannweib und als Giftzicke bezeichnet. Wieder hatte Esmond das Wörterbuch zurate ziehen müssen und daraufhin einen noch beängstigenderen Eindruck von seiner Tante Belinda bekommen. Dass seine Mutter das Urteil seines Vaters bestätigte, machte das Ganze nur noch schlimmer. Seiner eigenen Erfahrung nach jedoch, die sich auf das Wenige stützte, was er bei den höchst seltenen Besuchen von seiner Tante gesehen hatte, schien sie eine recht gut aussehende Frau zu sein, wenn auch ein bisschen still und hochnäsig.
    Alles in allem hatte die Fahrt nicht dazu beigetragen, dass Esmond vertrauensvoll in die Zukunft blickte – wenn er denn überhaupt eine hatte, was allmählich unwahrscheinlich schien. Denn Mrs. Wileys schon immer erratischer Fahrstil war nun geradezu lebensgefährlich geworden. Der bevorstehende Verlust ihres Sohnes – wie kurz dieser auch währen mochte – sowie, weniger bedeutsam, die Überzeugung, dass Horace ein mordgieriger, ehebrecherischer Wahnsinniger war, der in eine Irrenanstalt würde eingeliefert werden müssen, lenkten sie vom Straßengeschehen ab. An diesem Morgen war Vera in die Küche hinuntergekommen und hatte ihren Mann dabei ertappt, wie er die Küchenmesser schärfte – »wetzte« wäre eine zutreffendere Bezeichnung gewesen –, bis ihre Klingen so gefährlich waren wie altmodische Rasiermesser. Und dann, nach dem Frühstück – eine schwierige, weitgehend schweigende Angelegenheit –, hatte sie ihn im Badezimmer angetroffen, das Gesicht voller Schaum und offenbar im Begriff, sich mit dem Messer zu rasieren, das bisher Sonntagsbraten und besonderen Anlässen vorbehalten gewesen war. Sie hatte es ihm entrissen und sich dabei in die Hand geschnitten und war über seine schadenfrohe Miene und über das wahnwitzige Gelächter entsetzt gewesen, das aus dem Schlafzimmer drang, als sie ihn dort hineingeschubst und die Tür abgeschlossen hatte.
    Nachdem sie die Vorsichtsmaßnahme ergriffen hatte, seine Zimmertür so oft wie möglich abzuschließen und im Gästezimmer zu schlafen, hatte sie mit Schrecken gehört, wie Horace jede Nacht auf und ab gewandert war und schrill gelacht hatte. Infolgedessen war ihr Schlaf so sehr gestört worden, dass sie häufig am Küchentisch eindöste, nachdem sie Esmond sein Frühstück vorgesetzt und ihn eilig aus dem Haus geschickt hatte, ausgestattet mit Geld fürs Mittagessen und der Anweisung, erst um sieben Uhr abends heimzukommen. All diese Nickerchen bedeuteten, dass sie nicht dazu kam, geruhsam oder auch nur wenigstens täglich ihre Liebesromane zu lesen. Selbst einkaufen zu gehen wagte sie sich kaum. Als sie am Donnerstag nach einem kurzen Ausflug zum Laden an der Ecke zurückkehrte, stellte sie fest, dass der Fensterputzer gekommen war, um die Scheiben innen und außen zu putzen. Zu ihrem Schrecken stand Horace, noch immer im Pyjama, dort, wo das Fußende der Leiter des Mannes gewesen war. Horace hatte die Leiter umgekippt und schien jetzt die Wassertonne hinter dem Haus eingehend zu betrachten, ohne die Aufforderung des Fensterputzers zu

Weitere Kostenlose Bücher