Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharp
Vom Netzwerk:
kein »aber« gelten.
    »Schluss der Diskussion«, wehrte sie ab. »Ich will nicht, dass du durchs Haus tobst, während dein Vater oben krank im Bett liegt. Und außerdem wirst du von deinem Onkel Albert etwas Nützliches lernen.«
    »Ich will aber kein Gebrauchtwagenhändler werden«, widersprach Esmond störrisch. »Ich will später mal in einer Bank arbeiten und gutes Geld verdienen wie Dad.«
    Das war zu viel für Mrs. Wiley. Dieser Satz fegte die letzten Überreste ihrer romantischen Weltsicht beiseite. Es wäre ihr lieber gewesen, Esmond wäre ein Schurke geworden – ein schneidiger Schurke natürlich – als ein Banker wie Horace.
    »Wenn du glaubst … wenn du glaubst, dass Dad gut verdient … also, lass dir sagen, Albert verdient viermal so viel wie dein Vater. Er ist ein reicher Mann, dein Onkel Albert. Wer hat je von einem reichen Bankangestellten gehört?« Sie hielt kurz inne und verfiel dann auf ein weiteres Argument. »Außerdem wird dir dein Onkel ein Zeugnis ausstellen. Erst neulich hieß es, dass die jungen Leute heutzutage unbedingt Berufserfahrung bräuchten. Ein Praktikum hilft dir mehr als alles andere.«
    Was nicht hilfreich dabei war, Esmond zu überreden. Eingezwängt zwischen der öffentlichen Vergötterung seitens seiner Mutter und der Zurückweisung durch seinen Vater, eine Zurückweisung, die mittlerweile so weit ging, dass dieser in trunkener Raserei versucht hatte, ihn mit einem Küchenmesser niederzustechen, sollte er jetzt seinem Onkel Albert ausgeliefert werden, der ebenso peinlich war wie seine Mutter. Und der, wie sein Vater wiederholt behauptet hatte, genauso ein Betrüger war wie jeder andere Gebrauchtwagenhändler, der jemals zwei von der Versicherung als Totalschaden abgeschriebene Schrotthaufen zu einem Cavalier aus erster Hand zusammengeschweißt hatte. Und noch dazu wohnte er in Essex.
    Dass seine Mutter auf den Namen Rosie Bitchall so eindeutig mit der Annahme reagiert hatte, er sei in sie verliebt, ärgerte Esmond indes noch mehr. Er interessierte sich nicht im Mindesten für diese verdammte Rosie. Er war unter seinen Altersgenossen sogar absolut einzigartig, insofern als ihn die Vorstellung von Sex eher abstieß als anmachte.
    Dies hier war ein Warnsignal für Esmond. Das einzige Gute, was die letzten vierundzwanzig Stunden mit sich gebracht hatten, war, dass sie ihn dazu veranlasst hatten, über wichtige Dinge nachzudenken, hauptsächlich über die offenkundige Notwendigkeit, auf keinen Fall so zu sein wie seine Eltern. Nachdem er all die Jahre mit Macht versucht hatte, ihren widerstreitenden Erwartungen an ihn zu entsprechen, und damit so offensichtlich gescheitert war, war er jetzt entschlossen, er selbst zu sein. Wer dieses Selbst war, davon hatte er keine Vorstellung, oder jedenfalls nur eine sehr vage, flüchtige. Als Junge hatte er eine Menge Berufsziele gehabt. Eben wollte er noch Dichter werden – von der Schwärmerei seiner Mutter für Tennysons »The Splendour Falls on Castle Walls« und der Tatsache, dass sie ihm als Kind eine Überdosis Rupert Bear verpasst hatte, waren ihm der Hang zum Skandieren und der Fluch des Reimens geblieben –, und gleich darauf hatte der völlig gegensätzliche Drang, Bulldozerfahrer zu werden, durch Hecken zu brechen und alles niederzuwalzen, die Poesie beiseitegedrängt. Einmal hatte er im Fernsehen gesehen, wie ein Abrissteam einen gewaltigen Fabrikschornstein zum Einsturz gebracht hatte. Die Männer hatten an dessen Basis die Ziegelsteine entfernt, sie durch Holz ersetzt und dieses dann angezündet, und der Gedanke, so ein Abrissexperte zu sein, hatte ihn flüchtig gereizt. Das sprach irgendetwas in seinem Innern an, so wie einst das Trommeln: Es drückte die Wucht seiner Emotionen aus und sein überwältigendes Verlangen, sich irgendwie durchzusetzen. Unglücklicherweise war er kaum bei dieser Vorstellung von Selbstsein angelangt, als auch dies von dem Gefühl verdrängt wurde, dass er auf der Welt sei, um etwas Wichtigeres und Konstruktiveres zu leisten, als Schornsteine zu sprengen und Sachen niederzureißen. Und jetzt hatte auch der Gedanke, bei einer Bank zu arbeiten, seinen Reiz für ihn verloren. Nicht, wenn das bedeutete, dass man um sechs Uhr morgens aufstand und irgendwann nach neun Uhr abends betrunken nach Hause kam und nicht einmal so viel verdiente wie Onkel Albert. Seine Zukunft musste etwas Besseres bereithalten als das.
    Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Esmond angefangen, selbstständig zu

Weitere Kostenlose Bücher