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Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharp
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Schmuddelkleidung – was ihm an der Rezeption einen sehr merkwürdigen Blick eintrug –, nahm seinen Koffer und gab dem Portier beim Hinausgehen ein sehr großzügiges Trinkgeld. Der Portier, der offensichtlich fand, Horace brauche das Geld dringender als er, gab das Trinkgeld nicht nur zurück, sondern legte noch einmal dieselbe Summe obendrauf.
    Nicht ganz überzeugt, dass es völlig unmöglich wäre, ihm zu folgen, verbrachte Horace die nächste Nacht im Freien in Blackheath, ein Erlebnis, das er auf keinen Fall zu wiederholen gedachte, nachdem er zweimal von der Polizei vertrieben und einmal von einem Obdachlosen mit einem Pissoir verwechselt worden war.
    Am nächsten Vormittag war er wieder in dem Heuerbüro, wo er dem Mann hinter dem Tresen einhundert Pfund überreichte und ihm ganz kurz seinen Pass vor die Nase hielt. Nicht, dass das notwendig gewesen wäre. Der Mann freute sich so sehr über das enorme Trinkgeld, dass er Horace durchließ, ohne sich die Mühe zu machen, seinen Namen zu notieren. Beglückt über seine eigene Taktik stieg Mr. Ludwig Jansens das Fallreep empor, entschlossen, niemals wieder einen Fuß auf englischen Boden zu setzen.

22
     
    In Grope Hall hatte Belinda das Tor geöffnet und den Ford zum Haus gefahren, ohne auf die beiden Bullen neben dem Zufahrtsweg und das Lärmen der bellenden Hunde hinter dem Haus zu achten. Sie fuhr direkt bis vor die Küchentür, stieg aus und klopfte. Eine sehr alte Frau spähte aus einem Schlafzimmerfenster.
    »Was wollen Sie?«, verlangte sie zu wissen.
    »Ich bin deine Großnichte Belinda. Eudora war meine Mutter. Deine Schwester Eliza war meine Großmutter.«
    »Eudora? Eudora?«, rief die alte Frau eindeutig verwirrt. »Wo ist deine Mutter, Eudora?«
    »Nein, ich bin Belinda. Eudora ist tot. Sie ist vor zwei Jahren gestorben, sie hatte eine Lungenentzündung. Ich dachte, das wüsstest du. Ich hatte dir damals geschrieben.«
    »Ich lese keine Briefe. Kann ich nicht, weil meine Brille kaputt ist. Und will ich auch gar nicht. Sind ja doch immer nur schlechte Nachrichten.« Die Greisin hielt inne und schien nachzudenken. »Warum bist du hergekommen? Wenn du Eudoras Tochter bist, wie du behauptest, dann hat sie dir doch bestimmt erzählt, wie die Familie immer gelebt hat.«
    »Oh ja, das hat sie. Zumindest die wichtigen Fakten. Der Familienvorstand muss eine Frau sein. Als Eliza gestorben ist, hast du ihre Nachfolge angetreten. Wir sind früher oft zu Besuch gekommen, als ich noch klein war, weißt du das nicht mehr?«
    »Mein Verstand ist nicht mehr das, was er mal war. Nicht, dass jemals viel damit los gewesen wäre. Ich erinnere mich, dass Eudora nach Südengland gefahren ist, um sich einen Mann zu suchen, aber seitdem hab ich nichts mehr von ihr gehört. Woher soll ich wissen, dass du wirklich diejenige bist, die du zu sein behauptest?«
    »Ich bin durch und durch eine Grope, und das kann ich auch beweisen.«
    Die alte Frau nickte und fragte dann: »Wann hatte deine Mutter Geburtstag?«
    »Am 20. Juni. Sie war Jahrgang 1940.«
    »Das stimmt. Na dann komm mal lieber rein. Die Tür ist offen. Ich bin noch nicht angezogen, aber ich komme bald runter, und dann kannst du mir erzählen, warum du hergekommen bist.«
    Belinda vergewisserte sich, dass Esmond noch immer schlief, ehe sie ins Haus trat. Sie ging durch die Spülküche und stand dann da und betrachtete die Küche. Der Raum war noch genauso, wie sie ihn von ihrer Kindheit her in Erinnerung hatte. Derselbe Kartentisch in der Mitte und dieselben Töpfe und Pfannen auf den Borden oder an den Haken an der Wand gegenüber dem alten Kohleherd. Alles war noch so wie bei ihrem letzten Besuch vor all den Jahren. Sogar der Geruch nach Speck war noch derselbe und nach … Sie konnte nicht genau sagen, was es war. Es war ganz einfach das Geruchsgemenge, das ihr als Kind sechs Jahre lang so vertraut gewesen war. Und am allerbesten war, dass hier alles ganz anders war als in dem Ponson-Bungalow, aus dem sie geflohen war. Nichts glänzte oder leuchtete weiß wie ihre Waschmaschine und die verschiedenen Geräte, die sie im Laufe der Jahre um sich geschart hatte. Damals hatte sie in dieser schrecklich modernen Küche ein wenig Trost gefunden. Oder sich das eingeredet. Jetzt jedoch war sie in ihr wahres Zuhause zurückgekehrt, wo sie die glücklichsten Zeiten ihrer Kindheit verbracht hatte.
    Seltsamerweise verspürte sie trotz der stundenlangen Fahrt über Landstraßen keinerlei Müdigkeit – sie hatte sich immer

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