Lauter Irre
war mit ihrem Bruder verheiratet? Das ist doch Inzest, oder?«
»Nein, sie ist mit einem Bankangestellten aus Croydon verheiratet, der durchgedreht ist und versucht hat, seinen Sohn mit einem Küchenmesser zu erstechen. Sie hat gesagt, wir müssten ihn unbedingt aus dem Haus seines Onkels rausholen.«
»Was? Bevor er ihn auch umbringt?«, fragte der Superintendent.
»Genau, Sir.«
»Und stattdessen hat er das Ihnen überlassen, indem Sie das Haus plattgemacht haben. Und wo ist diese Mrs. Ponson jetzt?«
»Na ja, auch da drin, nehme ich an.«
»Sie meinen, sie hat Schüsse gehört und wie ihr Sohn ermordet wurde, und …«
»Nein, Sir, die heißt Mrs. Wiley. Sie ist in der Notaufnahme.«
»Das mit dem ›Not‹ können Sie ruhig weglassen, Chief Inspector. Not war hier nämlich keine am Mann, und Sie sind für das Ganze verantwortlich. Warten Sie nur die Untersuchung ab und danach den Prozess, und dann schauen Sie, wie das Urteil ausfällt.«
Er wandte sich ab und schickte sich gerade an, sich so schnell wie möglich so weit wie möglich vom Schauplatz des Geschehens zu entfernen, als ihn der Chief Inspector zurückhielt.
»Sollten Sie nicht lieber zuerst Mrs. Wiley befragen, Sir?«
Der Superintendent drehte sich um und versuchte vergeblich, sich zu erinnern, wer Mrs. Wiley war. Er war kurz davor, die Nerven zu verlieren.
»Ist die denn noch am Leben? Ich dachte, Sie haben gesagt, ihr Mann hat versucht, sie mit einem Küchenmesser umzubringen.«
»Doch nicht sie. Ihren Sohn. Mr. Wiley arbeitet bei der Lowland Bank. Er hat ein Küchenmesser genommen und …«
»Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Sie hat ihn hierhergeschafft, in diesen verdammten Bungalow, damit der Kerl, den sie vor dem Bankmenschen geheiratet hat, ihn erschießt. In Ordnung, wir gehen und reden mit ihr. Ich glaube, ich bin noch nie einer Bigamistin begegnet.«
Der Chief Inspector hielt den Mund. Insgeheim fragte er sich, ob der Superintendent getrunken hatte, und er wünschte sich, er könnte sich ebenfalls einen ordentlichen Whisky genehmigen.
21
Als er nach einem weiteren hemmungslosen Abend in London erwachte, fühlte Horace sich nicht allzu wohl, nicht zuletzt deshalb, weil er beim Aufwachen feststellte, dass er verschlafen und der Gammelfrachter längst abgelegt hatte.
Nach einem minimalen Lunch fühlte er sich endlich imstande, das Hotel zu verlassen, und weil ihm aufging, dass selbst der verschlafenste Angestellte misstrauisch werden würde, wenn er im selben Reisebüro noch eine Fahrkarte kaufte, nahm er ein Taxi zum gesetzlosesten Stadtteil Londons, in der Nähe der Docks.
Da er beschlossen hatte, dass er seine Spuren besser verwischen musste, suchte er sich den verkommensten Laden mit Second-Hand-Kleidern aus, den er finden konnte, und erstand einen schäbigen Regenmantel und ein Paar völlig abgetragene Stiefel, die ihm ein paar Nummern zu groß waren. Nachdem er in einer öffentlichen Toilette Zuflucht gesucht hatte, um sich umzuziehen, stopfte er die Hosenbeine einer alten, schmuddeligen Hose, die er in weiser Voraussicht aus seinem Gartenschuppen mitgenommen hatte, in besagte Stiefel. Als er wieder zum Vorschein kam, war Horace sogar noch weniger als flüchtiger Bankangestellter zu erkennen als vorher.
Danach fuhr er mit dem Bus zu den Docks. Nach einer qualvollen Fahrt hielt der Bus, und Horace, der seinen schmerzenden Kopf verfluchte, marschierte auf und ab, bis er ein Heuerbüro fand, wo er – unter erheblichen Schwierigkeiten – abermals für eine Überfahrt nach Lettland bezahlte.
»Na, zurück in die Heimat?«, erkundigte sich der Mann hinter dem Tresen, der selbst wie ein Immigrant aussah, nachdem er die in Blockbuchstaben geschriebene Bitte um eine Fahrkarte nach Riga studiert hatte, die Horace ihm reichte. »Kann’s dir nicht verdenken.«
Horace nickte und umklammerte seine Fahrkarte und seinen Koffer, während er sich auf die Suche nach einer weiteren öffentlichen Toilette machte, um wieder seinen Anzug anzuziehen.
Zurück im Hotel, schrieb er an seine Schweizer Bank und setzte den Kundenberater, der seine Geldangelegenheiten betreute, davon in Kenntnis, dass er 3000 Pfund in bar abzuheben wünsche – er habe Geschäfte in Australien, lautete die Begründung, und er würde noch vor Ende des Monats persönlich anreisen, um das Geld in Empfang zu nehmen. Damit blieben ihm noch gut über eine Million Pfund auf seinem Konto.
Am nächsten Morgen bezahlte er seine Hotelrechnung in seiner
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