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Lauter reizende alte Damen

Lauter reizende alte Damen

Titel: Lauter reizende alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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vorstellen?«
    »Ich möchte lieber wissen, warum alte Frauen Marie-Antoinette oder Madame Curie sein wollen.«
    »Vermutlich, weil sie sich langweilen. Du würdest dich auch langweilen, wenn du nicht mehr auf deinen Beinen herumlaufen könntest oder steife Finger hättest. Du suchst dann verzweifelt nach etwas, um dich zu beschäftigen, und kommst auf die Idee, in einen berühmten Menschen zu schlüpfen und auszuprobieren, wie das ist. Ich kann das sehr gut verstehen.«
    »Ja, du bestimmt!« sagte Tommy. »Gott schütze jedes Altersheim vor dir. Ich nehme an, du wirst ständig Kleopatra sein.«
    »Nein, ich werde keine historische Persönlichkeit«, wehrte Tuppence ab. »Ich bin höchstens ein Küchenmädchen im Schloss der Anna von Cleve. Und ich erzähle alle saftigen Skandalgeschichten, die ich aufgeschnappt habe.«
    Wieder kam Miss Packard herein. Sie wurde von einem großen, sommersprossigen, rothaarigen Mädchen in Schwesterntracht begleitet.
    »Das ist Miss O’Keefe – Mr und Mrs Beresford. Sie möchten Ihnen etwas sagen. – Ich darf mich sicher entschuldigen? Ich muss eine Patientin besuchen.«
    Tuppence überreichte ihr Tante Adas Stola, und Schwester O’Keefe äußerte ihr Entzücken. »Oh, wie schön! Aber für mich ist sie viel zu gut. Sie brauchen sie doch sicher selbst…«
    »Nein, wirklich nicht. Mir ist sie zu groß. Ich sehe darin noch kleiner aus. Sie ist für jemanden gemacht, der groß ist. Tante Ada war auch groß.«
    »Ja. Sie war eine stattliche alte Dame. – Sie muss sehr schön gewesen sein, als sie jung war.«
    »Das wäre schon möglich«, sagte Tommy etwas zweifelnd. »Aber sie zu betreuen, muss recht schwierig gewesen sein. Sie war ein Drachen.«
    »Ja, das schon. Sie war eine Kämpfernatur. Sie ließ sich nicht unterkriegen. Und dumm war sie auch nicht. Es ist ganz erstaunlich, was sie alles herausbekommen hat.«
    »Aber ihr Jähzorn…«
    »Weiß der Himmel. Aber die, die immer klagen und weinen und jammern, sind viel schwerer zu verkraften. Miss Fanshawe war nie langweilig. Sie hat mir so schöne Geschichten von früher erzählt. – Einmal ist sie als Mädchen mit einem Pferd in den ersten Stock eines Landhauses geritten. Das hat sie wenigstens gesagt. Stimmt das?«
    »Zuzutrauen wäre es ihr«, sagte Tommy.
    »Hier weiß man nie, was man glauben kann und was nicht. Was einem die Alten hier alles erzählen! Verbrecher haben sie wiedererkannt. – Wir müssen es sofort der Polizei melden – sonst sind wir alle in Gefahr!«
    »Als wir letztes Mal hier waren, wurde jemand vergiftet«, sagte Tuppence.
    »Ach, das war nur Mrs Lockett. Der passiert das täglich. Die will aber nicht die Polizei, für die muss ein Arzt geholt werden. Die ist ganz versessen auf Ärzte.«
    »Und dann war da eine kleine alte Frau, die wollte Kakao.«
    »Das muss Mrs Moody gewesen sein. Die arme alte Seele ist nicht mehr bei uns.«
    »Sie ist nicht mehr hier? Ist sie weggezogen?«
    »Nein. Es war eine Thrombose – ganz plötzlich. Sie hing sehr an Ihrer Tante. Aber Miss Fanshawe hatte nicht immer Zeit für sie. Sie hat ein bisschen viel geredet.«
    »Und Mrs Lancaster ist auch nicht mehr hier.«
    »Ja, die ist von ihren Leuten fortgeholt worden. Die Ärmste wäre viel lieber hier geblieben.«
    »Wovon hat sie mir damals nur erzählt? – Ach ja, von dem Kamin im Wohnzimmer.«
    »Oh, die steckte voller solcher Geschichten. Was ihr alles passiert war – und was für Geheimnisse sie wusste…«
    »Ja, sie hat von einem Kind gesprochen, von einem geraubten oder ermordeten Kind…«
    »Es ist wirklich seltsam, was die sich alles ausdenken. Meistens bringt sie das Fernsehen auf solche Ideen…«
    »Finden Sie es nicht anstrengend, immer nur unter alten Menschen zu sein?«
    »Ach, das kann ich nicht sagen. Ich mag alte Leute. Deswegen habe ich mich auch hier um die Stelle beworben.«
    »Sind Sie schon lange hier?«
    »Anderthalb Jahre…« Sie hielt inne. »Aber ich gehe im nächsten Monat.«
    »So? Warum denn?«
    Zum ersten Mal wurde Schwester O’Keefe etwas zurückhaltender. »Ach, wissen Sie, Mrs Beresford, man muss mal wechseln…«
    »Aber die Arbeit bleibt doch immer die Gleiche?«
    »Ja, schon…« Sie nahm die Zobelstola auf. »Ich bedanke mich nochmals sehr herzlich. Ich freue mich sehr, und ich werde mich immer gern an Miss Fanshawe erinnern. – Sie war eine großartige alte Dame. So was wie sie gibt es heute nicht mehr oft.«

5
     
    T ante Adas Möbel kamen an; der Sekretär fand seinen Platz und

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