Lauter reizende alte Damen
Tommy!«
»Nur Mrs Thomas Beresford.«
»Jawohl«, sagte Tuppence, »ich habe darauf geachtet.«
»Warum?«
»Ich weiß es selbst nicht. Es war, als sei plötzlich etwas Böses aufgetaucht. Ich fürchtete mich auf einmal. Ich habe Haus Sonnenhügel immer für ein ganz normales, freundliches Haus gehalten – und plötzlich war ich nicht mehr sicher… Anders kann ich es nicht erklären. Ich wollte mehr erfahren. Und nun ist die arme Mrs Lancaster verschwunden. Irgendjemand hat sie fortgezaubert.«
»Welches Interesse sollte man daran haben?«
»Ich kann mir nur denken, dass es schlimmer mit ihr wurde – vom Standpunkt dieser Leute aus. – Vielleicht hat sie jemanden wiedererkannt, oder jemand hat sie erkannt – oder ihr etwas erzählt. Auf jeden Fall wurde sie aus irgendeinem Grund gefährlich.«
»Weißt du, Tuppence, mir kommen in der Geschichte zu viel Irgendwer und Irgendwas vor. Du hast dir da etwas zusammengereimt. Du darfst dich auf keinen Fall in Dinge einlassen, die dich nichts angehen…«
»Wenn du Recht hast, gibt es nichts, in das ich mich einlassen könnte. Du brauchst dir also keine Gedanken zu machen.«
»Bleib vom Sonnenhügel weg, hörst du?«
»Da wollte ich gar nicht wieder hin. Dort habe ich alles erfahren, was zu erfahren war. Ich glaube, die alte Dame war im Haus Sonnenhügel in Sicherheit. Ich möchte aber wissen, wo sie jetzt ist. Ich möchte rechtzeitig zu ihr kommen, wo immer sie sein mag. Ehe ihr etwas passiert.«
»Und was, um alles in der Welt, sollte ihr schon passieren?«
»Daran mag ich nicht denken. Aber ich bin auf einer Fährte. Ich bin Prudence Beresford, Privatdetektivin. Und das werde ich bleiben, solange du in diesem supergeheimen Landhaus internationale Spionage spielst. ›Rettet Mrs Lancaster‹, heißt mein großer Auftrag.«
»Wenn du sie findest, wirst du sehen, dass es ihr ausgezeichnet geht.«
»Das hoffe ich. Das ist das Beste, was mir passieren kann.«
»Und wie willst du das Unternehmen starten?«
»Darüber muss ich erst nachdenken. Vielleicht könnte ich eine Anzeige aufgeben? Nein, das wäre wohl falsch.«
»Sei vorsichtig«, sagte Tommy überflüssigerweise.
Tuppence fand das keiner Antwort würdig.
Albert, nunmehr seit langen Jahren die Stütze des Haushalts Beresford, setzte am Montag das Tablett mit dem Morgentee auf den Tisch zwischen den beiden Betten ab. Er zog die Vorhänge auf, verkündete, dass das Wetter gut sei, und zog sich dann zurück.
Tuppence gähnte, rieb sich die Augen, schenkte sich eine Tasse Tee ein und warf eine Zitronenscheibe hinein.
Tommy wälzte sich auf die andere Seite und grunzte.
»Wach auf«, sagte Tuppence. »Du verreist nämlich heute.«
»O Gott, richtig.«
Auch er setzte sich auf und schenkte sich Tee ein. Er betrachtete wohlgefällig das Bild über dem Kamin. »Ich muss zugeben, Tuppence, dein Bild ist hübsch.«
»Wenn die Sonne seitlich durchs Fenster scheint, macht es sich besonders gut.«
»Ein friedliches Bild«, sagte Tommy.
»Wenn ich mich doch nur erinnern könnte, wo ich das Haus gesehen habe!«
»Das ist doch nicht so wichtig. Es wird dir schon wieder einfallen.«
»Das nützt mir nichts. Ich muss es jetzt wissen.«
»Warum denn?«
»Verstehst du denn nicht? Es ist mein einziger Fingerzeig. Das Bild hat Mrs Lancaster gehört.«
»Aber das hat doch nichts miteinander zu tun. Natürlich hat es Mrs Lancaster gehört, aber es kann doch sein, dass sie es auf einer Ausstellung gekauft hat. Vielleicht hat sie es auch geschenkt bekommen. Sie hat es ins Heim mitgenommen, weil es ihr gefiel. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass es etwas mit ihr persönlich zu tun hat. Wenn das so wäre, hätte sie es nicht Tante Ada geschenkt.«
»Es ist der einzige Hinweis«, wiederholte Tuppence.
»Es ist ein schönes, friedliches Haus«, sagte Tommy.
»Trotzdem halte ich es für ein leeres Haus.«
»Wie meinst du das? Warum leer?«
»Ich glaube nicht, dass jemand darin wohnt«, sagte Tuppence. »Ich glaube nicht, dass jemals ein Mensch aus dem Haus herauskommt. Niemand geht über die Brücke; niemand macht das Boot los und rudert davon.«
»Du liebe Güte, Tuppence!« Tommy starrte sie an. »Was ist denn mit dir los?«
»Das fiel mir schon auf, als ich es zum ersten Mal sah. Ich dachte: Das wäre ein Haus, in dem ich gern wohnen würde. Und dann habe ich gedacht: Aber niemand wohnt darin. Das weiß ich ganz genau. – Das beweist doch, dass ich es schon gesehen habe. Warte einen Augenblick.
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