Lauter reizende alte Damen
weiter, aber sie rücken weder dir noch sonst irgend jemandem eine Adresse heraus. Sie haben ihre strengen Bestimmungen, an die sie sich halten. Ihre Lippen sind ebenso versiegelt wie die unseres Premierministers, um mich gewählt auszudrücken.«
»Na schön. Dann schreibe ich an die Bank.«
»Tu das, und lass mich, bitte, bitte, jetzt allein, sonst werde ich nie mit meiner Rede fertig.«
»Danke, Liebling«, sagte Tuppence. »Ich wüsste wirklich nicht, was ich ohne dich anfangen sollte.«
Erst am darauf folgenden Donnerstagabend fragte Tommy plötzlich: »Hast du eigentlich eine Antwort auf den Brief bekommen, den du dieser Mrs Johnson über die Bank geschrieben hast?«
»Nett, dass du fragst«, sagte Tuppence sarkastisch. »Nein. Ich habe nichts gehört.« Sie fügte nachdenklich hinzu: »Übrigens glaube ich auch nicht, dass noch etwas kommt.«
»Warum nicht?«
»Ach, das interessiert dich doch gar nicht«, erklärte Tuppence kalt.
»Aber, Tuppence… Ja, ich weiß, ich hab mich nicht viel um dich gekümmert… Es war wegen dieser IUAS. Gott sei Dank ist das nur einmal im Jahr.«
»Es geht am Montag los, ja? Fünf Tage lang?«
»Vier Tage.«
»Und ihr fahrt alle zu einem ganz geheimen Haus auf dem Land und haltet Reden und Vorträge und schickt junge Männer für supergeheime Aufträge nach dem Kontinent und sonst wohin. Ich hab ganz vergessen, was IUAS heißt. Diese vielen Abkürzungen heutzutage…«
»Internationale Union Allgemeiner Sicherheit.«
»Schön hochtrabend! Dass die sich nicht schämen. Und wenn man sich dann überlegt, dass das ganze Haus mit Mikrophonen gespickt ist und jeder die geheimsten Unterhaltungen des anderen kennt!«
»Das ist sehr wahrscheinlich«, sagte Tommy grinsend.
»Trotzdem scheint es dir Spaß zu machen!«
»Ach, in gewisser Weise schon. Man trifft viele alte Freunde wieder.«
»Kommt Josh auch?«
»Ja.«
»Wie ist der denn jetzt?«
»Fast taub, halb blind, vom Rheuma verkrüppelt – und es entgeht ihm nichts, aber auch gar nichts.«
Tuppence nickte gedankenverloren. »Schade, dass ich nicht mit kann.«
Tommy machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Du wirst dich in den paar Tagen sicher nicht langweilen.«
»Ich glaube nicht«, sagte Tuppence immer noch nachdenklich.
Ihr Mann betrachtete sie mit dem Argwohn, den Tuppence so leicht in ihm erweckte.
»Tuppence, was führst du im Schilde?«
»Nichts… Ich überlege nur…«
»Was überlegst du?«
»Haus Sonnenhügel – eine reizende alte Dame, die Milch trinkt und etwas sehr wirr über tote Kinder und Kamine redet. Das hat mich beschäftigt – und geängstigt. Damals habe ich mir vorgenommen, bei unserem nächsten Besuch im Heim mehr darüber herauszubekommen. Aber dann fiel der nächste Besuch aus, weil Tante Ada starb. Und als wir dann wieder zum Sonnenhügel kamen, war Mrs Lancaster… verschwunden!«
»Du meinst, dass ihre Verwandten sie abgeholt haben! Das kann man doch nicht ›verschwinden‹ nennen. Das war doch alles ganz natürlich.«
»Nein, es ist ein Verschwinden. – Keine Adresse. Keine Antwort auf Briefe. – Es ist ein geplantes Verschwinden. Davon bin ich immer mehr überzeugt.«
»Aber…«
»Hör zu, Tommy – nehmen wir einmal an, irgendwann ist ein Verbrechen geschehen. Es schien gut verborgen und vertuscht zu sein. Und nimm nun mal an, dass jemand aus der Familie etwas gesehen oder etwas gewusst hat – eine alte, geschwätzige Frau, die mit anderen Leuten redet. Plötzlich wird dir klar, dass diese Frau gefährlich werden kann. – Was würdest du tun?«
»Arsen in die Suppe«, schlug Tommy fröhlich vor. »Oder einen Schlag auf den Kopf? Vielleicht könnte man sie die Treppe hinunterstoßen…«
»Das ist zu extrem. Plötzliche Todesfälle erregen Aufmerksamkeit. Du würdest nach einer einfacheren Methode suchen – und sie finden. Ein hübsches, gepflegtes Heim für alte Damen. Da würdest hinfahren, dich Mrs Johnson oder Mrs Robinson nennen – oder einen neutralen Dritten einschalten. Die finanziellen Dinge würdest du durch einen Anwalt erledigen lassen. Vielleicht hast du schon Andeutungen gemacht, dass deine alte Verwandte manchmal etwas wirr ist und fixe Ideen hat – wie das bei alten Leuten vorkommt. Niemand wundert sich darüber, wenn sie von vergifteter Milch oder toten Kindern hinter Kaminplatten oder einer düsteren Entführung spricht; niemand hört ihr richtig zu. Alle glauben, dass die alte Frau Sowieso mal wieder phantasiert. – Niemand achtet darauf,
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