Lauter reizende alte Damen
Pause und sagte dann: »Mr Beresford, über diese drei Todesfälle mache ich mir Gedanken, besonders über zwei von ihnen. Sie waren möglich und auch keineswegs unerwartet, aber ich würde doch sagen, man konnte nicht mit ihnen rechnen. Je mehr ich mich damit befasse, umso weniger leuchten sie mir ein. Man muss die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass, so unwahrscheinlich das klingen mag, im Sonnenhügel ein geistesgestörter Mörder lebt. Ein absolut unverdächtiger Mörder oder eine Mörderin.«
Es blieb eine ganze Weile still. Tommy seufzte.
»Ich bezweifle nichts von dem, was Sie mir erzählt haben«, sagte er, »aber es klingt zu unglaubhaft. So etwas kann doch gar nicht sein.«
»O doch«, sagte Dr. Murray finster. »Es kann schon sein. Lesen Sie mal psychiatrische Krankengeschichten: Eine Frau arbeitete als Hausangestellte und Köchin in einer Reihe von Haushalten. Sie war nett und freundlich; sie war zuverlässig und kochte gut. Sie fühlte sich bei der Familie wohl. Aber früher oder später passierte es. Meistens war es eine Platte mit belegten Broten, manchmal der Picknickkorb. Ohne jeden erkennbaren Grund vergiftete sie zwei oder drei Sandwiches mit Arsen. Der schiere Zufall diktierte, wer das vergiftete Brot nahm. Es handelte sich nicht um persönliche Rachsucht. Manchmal passierte gar nichts. Die Frau war drei oder vier Monate in einer Stelle; niemand wurde krank. Dann wechselte sie die Stelle, und dort starben innerhalb von drei Wochen zwei Familienmitglieder, nachdem sie zum Frühstück Schinken gegessen hatten. Da diese Vorfälle sich in verschiedenen Gegenden Englands und in unregelmäßigen Abständen ereigneten, dauerte es lange, bis die Polizei ihr auf die Spur kam.«
»Und warum hat sie es getan?«
»Ich glaube, das hat nie jemand herausgefunden. Es gab verschiedene Theorien, und es könnte sein, dass sie aus einem religiösen Wahn heraus an den göttlichen Befehl glaubte, die Welt von gewissen Personen befreien zu müssen.
Dann gab es diese Französin, Jeanne Gebron, sie wurde Gnadenengel genannt. Sie war voller Mitleid, wenn die Kinder ihrer Nachbarn krank wurden, und kam sofort, um sie zu pflegen. Sie wich nicht vom Krankenbett. Auch hier hat es einige Zeit gedauert, bis entdeckt wurde, dass die Kinder, die sie pflegte, nie gesund wurden. Sie starben alle. Wiederum: warum das? Es stimmt, dass ihr Kind starb, als sie noch jung war. Sie war verzweifelt vor Kummer. Vielleicht war das die Ursache für die späteren Verbrechen. Wenn ihr Kind starb, sollten auch die Kinder anderer Frauen sterben. Es kann aber auch sein – diese Theorie gab es ebenfalls, dass ihr Kind ihr erstes Opfer war.«
»Ich bekomme eine Gänsehaut«, sagte Tommy.
»Ich nehme nur die eklatantesten Fälle«, sagte der Arzt. »Es könnte viel einfacher sein. Erinnern Sie sich an den Fall Armstrong? Jeder, der ihn beleidigt oder gekränkt hatte – und es genügte auch, dass er das nur glaubte –, wurde zum Tee eingeladen und mit Arsen-Brötchen bewirtet. Seine ersten Verbrechen geschahen noch aus reiner Gewinnsucht. Er wollte Geld erben. Er musste eine Frau beseitigen, um eine andere heiraten zu können.
Dann der Fall der Schwester Warriner, die ein privates Altersheim leitete. Die alten Leutchen setzten sie als Erbin ein, und dafür wurde ihnen ein geruhsames Heim bis zu ihrem Tode versprochen. Nur ließ der Tod nie lange auf sich warten. Schwester Warriner half mit Morphium nach. – Sie war eine sehr freundliche Frau, hatte aber gar keine Skrupel. Sie hat sich, glaube ich, selbst als Wohltäterin gesehen.«
»Haben Sie gar keine Ahnung – falls Ihre Vermutung über diese Todesfälle richtig ist –, wer es sein könnte?«
»Nein. Es gibt nicht einen Fingerzeig. Wenn man annimmt, dass die Mörderin geistesgestört ist, muss man bedenken, dass geistige Erkrankungen manchmal kaum zu erkennen sind. Ist es jemand, der alte Menschen verabscheut oder dem ein älterer Mensch etwas angetan hat, oder ist es jemand, dessen Leben durch einen älteren Menschen ruiniert worden ist? Ist es möglicherweise jemand, der aus Gnade tötet, weil er glaubt, jeder Mensch über sechzig müsste vom Leben erlöst werden? Es kann jeder sein. Eine Patientin? Eine Krankenschwester? Einer der übrigen Angestellten?
Ich habe das in aller Ausführlichkeit mit Millicent Packard besprochen. Sie ist eine kluge, sehr tüchtige Frau, die alle Heiminsassen und alle Angestellten sehr genau einschätzt und kennt. Sie sagt, sie könne keinen
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