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Lauter reizende alte Damen

Lauter reizende alte Damen

Titel: Lauter reizende alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Gemäldegalerien von London. Tommy war kein großer Kunstkenner, und er war auch nur zur New-Athenian-Galerie gekommen, weil ein Freund von ihm dort tätig war.
    Es herrschte eine Atmosphäre gedämpfter Stille, gemessener Höflichkeit und fast kirchlicher Würde. Ein blonder junger Mann tauchte auf und schritt ihm entgegen. Dann leuchtete sein Gesicht in plötzlichem Wiedererkennen auf.
    »Oh, Tommy«, sagte er. »Ich hab dich so lange nicht mehr gesehen. Was schleppst du denn da mit dir herum? Sag um Gottes willen nicht, dass du auf deine alten Tage unter die Maler gegangen bist! Das tun schon viel zu viele – und das Ergebnis ist meistens grauenvoll.«
    »Mit dem schöpferischen Künstlertum war es bei mir nie so weit her«, sagte Tommy. »Aber neulich habe ich ein Buch entdeckt, in dem mit wenigen Worten erklärt wird, wie man Fünfjährigen das Aquarellmalen beibringen kann. Ich muss zugeben, dass mich das in Versuchung gebracht hat.«
    »Der Himmel stehe uns bei! Willst du Grandma Moses Konkurrenz machen?«
    »Nein, Robert. Um ehrlich zu sein, ich wollte nur deine Hilfe als Kunstexperte in Anspruch nehmen. Ich wollte deine Meinung über dieses Bild hören.«
    Robert nahm Tommy das Bild ab, stellte es auf einen Stuhl und betrachtete es erst ganz aus der Nähe und dann aus einem Abstand von zwei Metern. Er sah Tommy an und fragte: »Was ist damit? Was willst du wissen? Hast du vor, es zu verkaufen?«
    »Nein«, sagte Tommy. »Das will ich nicht. Zuerst möchte ich wissen, wer es gemalt hat.«
    »Wenn du es verkaufen willst«, sagte Robert, »ist das übrigens kein schlechter Zeitpunkt. Vor zehn Jahren wäre es ungünstig gewesen, aber jetzt wird Boscowan gerade wieder Mode.«
    »Boscowan?« Tommy sah ihn fragend an. »Heißt so der Maler? Ich habe gesehen, dass der Name mit einem B anfängt, konnte ihn aber nicht entziffern.«
    »Es ist ganz bestimmt Boscowan. Vor fünfundzwanzig Jahren hatte er einen großen Namen, es gab viele Ausstellungen, und er hat sehr viel verkauft. Dann ist er, wie das häufig so geht, nach einiger Zeit in Vergessenheit geraten. Keiner fragte mehr nach seinen Bildern. Aber neuerdings ist er wieder im Kommen.«
    »Boscowan«, wiederholte Tommy.
    »B-o-s-c-o-w-a-n«, buchstabierte Robert.
    »Malt er noch?«
    »Nein. Er ist tot. Er ist vor ein paar Jahren gestorben. Jung war er nicht mehr, sicher schon fünfundsechzig. Er war sehr fleißig, und es gibt viele Bilder von ihm. Wir bereiten übrigens gerade eine Ausstellung vor. Sie kommt in ein paar Monaten, und wir versprechen uns viel davon. Warum interessierst du dich so für ihn?«
    »Das kann ich dir jetzt nicht erzählen. Die Geschichte ist zu lang. Du musst bald mal mit mir im Klub essen. Jetzt möchte ich nur etwas über diesen Boscowan erfahren und vor allem, ob du zufällig weißt, wo sich das Haus auf dem Bild befindet.«
    »Das kann ich dir auf Anhieb nicht sagen. Er hat immer solche Häuser gemalt. Kleine Landhäuser in einsamer Landschaft, manchmal ein Bauernhaus mit ein oder zwei Kühen im Hintergrund. Es sind immer stille, ländliche Szenen. Nie etwas Aufregendes. Die Bildoberfläche ist bei ihm oft wie emailliert. Das war eine besondere Technik von ihm, die den Käufern gefiel. Er hat viel in Frankreich gemalt, meistens in der Normandie. Auch viele Kirchen. Ein Kirchenbild hab ich hier. Warte.«
    Er lief zum Treppenabsatz und rief etwas nach unten. Nach kurzer Zeit kam er mit einem kleinen Bild wieder.
    »Siehst du? ›Kirche in der Normandie‹.«
    »Ja«, bestätigte Tommy. »Es ist in der Art ganz ähnlich. Meine Frau hat gesagt, das Haus auf unserem Bild hätte leergestanden. Ich verstehe jetzt, was sie damit gemeint hat. Die Kirche sieht auch nicht so aus, als hätte jemals in ihr ein Gottesdienst stattgefunden.«
    »Ja, da hat deine Frau Recht. Ruhige, stille Häuser ohne Bewohner. Er hat selten Menschen gemalt. Hin und wieder ist eine Figur in der Landschaft, aber eben nur selten. Ich finde, das gibt den Bildern einen besonderen Reiz. Ein Gefühl der Isolierung. Als hätte er die Menschen entfernt, um die Friedlichkeit der Landschaft zu erhöhen. Vielleicht wird er deswegen wieder modern. Heute gibt es zu viele Menschen, zu viele Autos, zu viel Lärm und Betrieb.«
    »Was für ein Mann war er?«
    »Ich hab ihn nicht mehr gekannt. Ich war zu jung. Er soll recht eingebildet gewesen sein. Wahrscheinlich hat er seine Qualitäten als Maler etwas überschätzt. Sonst war er aber freundlich und liebenswert. Er hielt viel von

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