Lauter reizende alte Damen
schönen Frauen.«
»Und du hast keine Ahnung, wo das Bild gemalt sein könnte? Vermutlich doch wohl in England?«
»Doch, das glaube ich auch. Soll ich es für dich feststellen?«
»Kannst du das denn?«
»Man müsste am besten seine Frau fragen. Er war mit der Bildhauerin Emma Wing verheiratet. Sie macht große, monumentale Skulpturen. Du könntest zu ihr gehen. Sie wohnt in Hampstead. Ich kann dir die Adresse geben. Wir haben in letzter Zeit viel mit ihr wegen der Ausstellung korrespondiert. Von ihr, nehmen wir auch einige kleinere Arbeiten auf.«
Er trat zum Schreibtisch, blätterte in einem großen Kassenbuch und schrieb etwas auf einen Zettel. »Hier, Tommy. Ich weiß ja nicht, was für ein Geheimnis dahinter steckt, aber Geheimnisse waren schon immer deine Spezialität. Dein Boscowan-Bild ist sehr gut. Du könntest es uns für die Ausstellung zur Verfügung stellen. Ich werde dir schreiben, wenn es soweit ist.«
»Du kennst nicht zufällig eine Mrs Lancaster?«
»So aus dem Kopf weiß ich das nicht. Ist sie eine Malerin?«
»Ich glaube kaum. Sie ist eine alte Dame, die in den letzten Jahren in einem Altersheim gelebt hat. Sie hat mit dieser Sache zu tun, weil sie das Bild einer Tante von mir geschenkt hat.«
»Nein, ich kann den Namen nicht unterbringen. Am besten sprichst du mit Mrs Boscowan.«
»Wie ist sie?«
»Sie muss viel jünger gewesen sein als er. Eine ausgeprägte Persönlichkeit.« Er nickte ein paarmal vor sich hin. »Ja, eine wirkliche Persönlichkeit. Aber das wirst du schon sehen. – Kommst du mit zum Lunch?«
»Kann ich nicht. Ich hab mich im Klub mit einem Arzt verabredet.«
»Bist du etwa krank?«
»Ganz im Gegenteil. Mein Blutdruck ist so gut, dass jeder Arzt enttäuscht ist, dem ich in die Finger gerate.«
»Und was willst du dann mit einem Arzt?«
»Ach«, sagte Tommy fröhlich, »den muss ich nur wegen einer Leiche sprechen. – Vielen Dank, Robert. Auf Wiedersehen.«
Tommy begrüßte Dr. Murray voller Neugier und konnte sich um die Welt nicht vorstellen, warum er den Grund seines Besuchs am Telefon nicht hatte erwähnen wollen. Er bot dem Arzt einen Platz an und bestellte Getränke. Als die beiden Männer es sich bequem gemacht hatten, begann Dr. Murray das Gespräch.
»Ich habe Sie sicher neugierig gemacht«, sagte er. »Aber im Sonnenhügel ist etwas Merkwürdiges passiert. Es ist eine verwirrende und schwierige Situation entstanden, mit der Sie im Grunde nichts zu tun haben. Ich habe gar kein Recht, Sie damit zu behelligen, aber es besteht die vage Möglichkeit, dass Sie etwas wissen, was mir weiterhilft.«
»Oh, ich bin Ihnen gern in jeder Weise behilflich. Hat diese Sache etwas mit meiner Tante zu tun?«
»Direkt nicht, nein, nur ganz am Rande. Können Sie unser Gespräch vertraulich behandeln, Mr Beresford?«
»Selbstverständlich. Es geht also um Schwierigkeiten im Sonnenhügel?«
»Ja. Vor noch nicht langer Zeit ist eine unserer Patientinnen gestorben. Eine Mrs Moody. Ich weiß nicht, ob Sie sie kennengelernt haben oder ob Ihre Tante sie erwähnt hat.«
»Mrs Moody? Nein, ich glaube nicht. Ich kann mich wenigstens nicht erinnern.«
»Sie war noch gar nicht so alt. Noch keine siebzig. Und auch nicht ernsthaft krank. Sie war allein stehend und hatte niemanden, der sich um sie kümmerte. Sie gehörte in die Kategorie der Patientinnen, die ich privat ›Hühner‹ nenne. Frauen, die, je älter sie werden, immer mehr Ähnlichkeiten mit Hennen bekommen. Sie gackern. Sie rennen hin und her. Sie vergessen alles. Sie geraten in Schwierigkeiten. Sie sind ständig besorgt. Im Grunde aber haben sie gar nichts. Man kann auch nicht sagen, dass sie geistig gestört sind.«
»Aber sie gackern eben vor sich hin?«
»Ja, Mrs Moody hat gegackert. Sie hat die Schwestern in Atem gehalten; trotzdem war sie bei ihnen beliebt. Sie geriet immer über die Mahlzeiten in Verwirrung. Dann machte sie Theater, behauptete, sie hätte ihr Mittagessen nicht bekommen, obwohl sie es gerade mit Genuss verzehrt hatte.«
Tommy ging plötzlich ein Licht auf. »Mrs Kakao!«
»Wie bitte?«
»Entschuldigung. Aber so haben meine Frau und ich sie genannt. Einmal, als wir gerade durch den Flur gingen, rief sie nach Schwester Jane und ihrem Kakao. Sie sah übrigens sehr nett aus. Aber wir haben damals beide über sie gelacht. Ach, und die ist also gestorben?«
»Ja. Kurz vor Ihrer Tante. Ich wäre normalerweise über ihren Tod nicht besonders überrascht gewesen«, sagte Dr. Murray. »Es ist
Weitere Kostenlose Bücher