Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lauter reizende Menschen

Lauter reizende Menschen

Titel: Lauter reizende Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Scott - Joyce West
Vom Netzwerk:
mir! Jawohl, schon gestern abend war ich sicher, ihn zu kennen, aber woher, darauf kam ich nicht. Dabei vergesse ich ein Gesicht mein Leben lang nicht!«
    Niemand zollte dieser bemerkenswerten Begabung im Augenblick Beifall, denn soeben traf Jim ein, und Lucia machte sich daran, frischen Kaffee aufzugießen, während Annabel sich bemühte, die Begeisterung der Kinder beim Anblick des Vaters in angemessenen Grenzen zu halten. Nachdem endlich wieder Ruhe eintrat, brachte Ross das Gespräch behutsam auf Michael Kelly zurück.
    »Sie sagten vorhin, Mrs. Wharton«, begann er sacht, »daß Sie zu jenen begnadeten Menschen gehören, die ein einmal gesehenes Gesicht nie wieder vergessen. Ach, wie gern möchte auch ich das von mir behaupten können! Sie haben den Vormann also schon früher gesehen?«
    »Allerdings! Und es hatte mit seiner Frau zu tun, mit diesem Weibsbild, das ich nicht ausstehen konnte. Vor ein paar Minuten erst ist es mir wieder eingefallen... jawohl, es war diese Judith Kelly. Erinnerst du dich nicht mehr, Annabel, daß ich von ihr erzählt habe? Es war zu der Zeit, als du im Pensionat warst.«
    »Ganz schwach erinnere ich mich«, bestätigte Annabel bedächtig. »Sie war als Sekretärin bei dir tätig, nicht wahr? War sie nicht sehr hübsch? Ich meine sogar, sie einmal gesehen zu haben.«
    »Hübsch war sie allerdings, aber dabei hart und kalt. Ein herrschsüchtiger Typ, der sich ständig zur Sittenrichterin über die Mitmenschen aufwarf. Und eine Fanatikerin war sie obendrein — gehörte irgendeiner seltsamen Sekte an, die gegen alles und jedes war. Einen Monat lang wohnte sie bei mir im Haus, um ein Manuskript zu schreiben, auf das der Verleger dringend wartete. Aber sie war mir unausstehlich, und so entließ ich sie bald wieder.«
    »Ich weiß noch, daß du sie nicht leiden konntest. Hing das nicht auch mit dem Buch zusammen?«
    »Sehr richtig! So unglaublich es klingt: Sie maßte sich ein Urteil über mein Buch an; sie hatte die Unverschämtheit, mich unter Berufung auf die Moral zur Rede zu stellen! Ich übte schlechten Einfluß aus! warf sie mir vor. Ich! Natürlich wies ich sie zurecht, kleine Geister und armselige Dummköpfe hätten darüber nicht zu befinden. Und da ging sie.«
    »Das kann ich mir vorstellen!« stieß Jim mit kaum unterdrücktem Lachen hervor. >Wie brachte er es nur fertig, daß seine Schwiegermutter ihm diesen unbotmäßigen Ton nicht übelnahm?< fragte sich Lucia. Vielleicht aber war dies der einzige Ton, in dem man überhaupt mit ihr fertig wurde. Sie selbst hätte das jedoch niemals geschafft.
    »Und diese unverschämte Person war also Kellys Schwester?« Ganz beiläufig kam die Frage von Ross, aber Lucia duckte sich voller Unbehagen. Warum ging ihr dieser ruhige Ton neuerdings derart auf die Nerven? Sicherlich bildete sie sich den peinlichen Beiklang nur ein!
    »Nein, nicht seine Schwester!« widersprach Augusta. »Seine Frau. Seine verlassene Frau — so jedenfalls betonte sie immer wieder. Natürlich hatte der Mann sie im Stich gelassen, und natürlich erhob sie schwere Vorwürfe gegen ihn. Dabei hatte aller Wahrscheinlichkeit nach sie ihm das Leben unerträglich gemacht! Ich jedenfalls konnte es ihm nicht verdenken, daß er sich davongestohlen hatte!«
    »Wenn sie aber getrennt lebten, wie bekamen Sie ihn dann überhaupt zu Gesicht? Und wie konnten Sie ihn gestern wiedererkennen?« Verblüfft stellte Lucia fest, daß anscheinend keiner der andern bemerkte, daß hier ein wahres Verhör im Gange war. Hinter allen mußte er herschnüffeln, sogar hinter dem netten Kelly und seinem lieben, verkrüppelten Frauchen! Seine Frau! Lucia verschlug es für einen Augenblick den Atem. Aber ja, warum denn nicht? Eine Scheidung war schließlich kein Verbrechen.
    »Sie zeigte mir sein Bild, während sie mir eingehend alle seine Missetaten schilderte. Tatsächlich: Obwohl diese Person immer wieder versicherte, sie könne ihn nicht leiden, stellte sie sein Bild auf den Tisch, so daß ich es sehen mußte, wenn ich ihr Zimmer betrat. Der arme Kerl! Sein einziges Verbrechen bestand wohl darin, daß er etwas vom Leben haben wollte, daß er sich mit Freunden traf, ein frohes Glas kippte und zum Pferderennen ging. Sie muß ihm das Dasein unerträglich gemacht haben!«
    »Und da verließ er sie endlich, und sie wurden geschieden?« Ganz gleichmütig klang Ross’ Frage, aber Lucia bemerkte den unbehaglichen Blick, den Jim ihm zuwarf.
    »Geschieden? Das kam für sie nicht in Frage. Er bat sie wohl

Weitere Kostenlose Bücher