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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Breitenbach
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Gassen,
umsäumt von Blumenranken, kommen wir auf den kleinen Platz vor der Kirche, die
der ,Majestät´ geweiht ist; die Heilige, die von ihren ,Untertanen´ so genannt
wird, genießt einen sagenhaften Ruhm.
     
    Seit
ein Mönch ihren Leib in durchaus frommer Absicht aus der Stadt Agen, wo sie im
Jahre 303 für ihren Glauben das Martyrium erlitt, gestohlen hatte, war Fides
für allerlei wundersame Ereignisse gut. Die Jungfrau hatte den Diebstahl nicht
übel genommen und ging bei Schwierigkeiten der Abtei in ihrem silbernen Schrein
auf Reisen; sie stellte auf diese Weise den Frieden zwischen verfeindeten
Städten her, befreite zu Unrecht Gefangene, machte Kranke gesund. Die Mönche
konnten die Wunder ihrer Heiligen gar nicht alle aufschreiben. Kein Wunder war
es, daß die Abtei zu einem Anziehungspunkt inmitten der Wildnis wurde und die
Pilger große Unbequemlichkeiten, sogar Gefahren auf sich nahmen, um nach
Conques zu kommen. Andererseits lockte auch das reiche Hospiz, das den Pilgern
einen angenehmen Aufenthalt gewähren konnte; auch so sorgte die heilige Fides
noch lange nach ihrem Tod für die Menschen unterwegs.
     
    Das
Portal der Basilika, die eingebettet ist in die Häuser der kleinen Siedlung mit
einigen Hotels und Unterkünften, gehört zu den eindrucksvollsten Werken der
romanischen Plastik. Der thronende Weltenrichter inmitten des Jüngsten
Gerichts, erinnert den Pilger an das Urteil, das einst über jeden Menschen
fallen wird. Früher war das Portal ganz in Gold und Farbe gefaßt und mußte
einen mächtigen Eindruck gemacht haben, vor allem, wenn den Wallfahrern erzählt
wurde, daß sie unterwegs noch viele Portale dieser Art erwarteten, so in
Moissac und vor den spanischen Kathedralen, daß aber der Pórtico de la Gloria
in Santiago das Höchste sein werde. Von Portal zu Portal, von Kirche zu Kirche
wuchs so die Sehnsucht nach dem Letzten.
     
    Die
Portale der Kirchen hatten für die Pilger noch eine andere wichtige Bedeutung.
Wer die Pforte zur Kirche des Jakobus durchschreitet, so war es überliefert,
der empfängt von Gott auf die Fürsprache des Apostels die Verzeihung aller
Sünden und den Nachlaß aller Sündenstrafen. Aber auch jeder andere Pilger
erhält diese Gnaden, der das große Ziel nicht erreicht, aber unterwegs die
„Türen der Vergebung“ durchschreitet. Verständlich, mit welchen Gefühlen wir in
die Kathedrale von Conques eintraten. Werden wir unser Ziel erreichen und so
Vergebung erlangen? Mit welchen Gefühlen mußte ein Pilger früherer Zeiten durch
ein solches Portal der Vergebung gegangen sein, dessen Leben doch viel mehr
bedroht war als unseres?
     
    So
sehr Conques mit seiner Abtei ein Vorgeschmack des Himmels war, für uns folgte
ein schweißtreibender Aufstieg zur Kapelle der hl. Foy, wie Fides in Frankreich
genannt wird. Auf der Hochebene, eigentlich hätten wir an diesem Tag ein gutes
Quartier verdient, müssen wir weiterziehen, weil uns der Führer mit seinen
Angaben getäuscht hatte; wir hätten doch die Gastfreundschaft der Jungfrau und
ihrer Diener, der Benediktinermönche von Conques, annehmen sollen. Dafür war es
jetzt zu spät.
     
    Unterwegs
finden wir wieder eine Rochuskapelle; wenn der Heilige die italienischen Pilger
zu trösten verstand, wird er auch uns weiterhelfen. Nach über zwölf Stunden
kommen wir in dem Städtchen Decazeville an. Der nächste Tag bringt uns in eine
trostlose, wasserarme Gegend. Der karstige Boden speist nur Tiefbrunnen, die
alle bereits geschlossen sind. So müssen wir um Wasser in den Häusern bitten.
Dafür werden wir am Abend im Hotel St. Jacques zu Figeac mit einem
hervorragenden Abendessen belohnt.

6
    Der Pilger ist nichts als
    ein Mensch,
    nichts anderes ist ein Heiliger ;
    zu allererst Mensch

D er
achte Tag unseres Weges ist angebrochen. Wir haben bereits 250 km hinter uns
gelassen und steigen - wie oft eigentlich noch? - aus einem Tal hinauf. Ein
heißer Wind, der Schirokko, beginnt zu wehen und nimmt uns fast den Atem. Der
Wind aus der Sahara, befrachtet mit feuchter Mittelmeerluft, wird uns die
nächsten Tage begleiten, für zusätzliche Anstrengung und Schweiß sorgen. Der
Schirokko läßt den Haß glühen und die Leidenschaften lodern, heißt es. Auch die
Pilger, die lange, manche zu lange unterwegs waren, waren gegen seinen Einfluß
nicht gefeit. Aus nichtigem Anlaß entstanden in den Pilgergruppen Mord- und
Totschlag. Übergriffe auf Frauen kamen vor, die lange Enthaltsamkeit und
mancherlei Entbehrungen konnten aus

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