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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Breitenbach
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habe“ (Joh
13,15). Dann gab es, je nach der Gegend, ein Abendessen mit Apfelwein oder
Wein, Roggen- oder Weißbrot, Suppe und, meist an Sonntagen, auch Fleisch. Das
alles um Gotteslohn. Begüterte Pilger ließen es sich allerdings nicht nehmen,
Unterkunft und Verpflegung zu zahlen, oder dem Orden nach ihrer Rückkehr eine
größere Stiftung zu machen. So wurden die Gemeinschaften im Geben nicht ärmer,
sie wurden immer reicher, was gelegentlich sogar den Neid und die Eifersucht
des Papstes oder des Königs erregte. Bei den Pilgern sprach es sich schnell
herum, wo die besten Hospize lagen und sie machten deswegen gerne auch einen
Umweg. Auch wir lernten schnell zu erkennen, wo es gute Unterkünfte gab, wo die
Gastgeber freundlich und hilfsbereit waren, oder wo es besser war, einen weiten
Bogen zu machen und den Staub von den Füßen zu schütteln.
     
    Inzwischen
sind wir den 13. Tag unterwegs. Unsere Füße und Beine sind müde geworden; ganz
einfach müde. Aber es geht weiter, trotz der offenen Blasen und Schwellungen.
Ein Abbrechen kommt uns nicht in den Sinn. Es geht weiter. Der alte Ruf der
Pilger „Ultreya!“, mit dem sie sich gegenseitig ermunterten, hilft auch uns
weiter durch die Maisfelder, die uns am frühen Morgen wie gebadete Mäuse auf
der anderen Seite entlassen und durch weitgestreckte Sonnenblumenmeere. Es ist
diesen riesigen Blumen, die ihre schweren Köpfe nach Osten ausgerichtet haben,
nicht anzusehen, wie kratzbürstig und abweisend sie sein können. Die harten
Borsten brennen auf den nackten Armen und Beinen wie das höllische Feuer. Wir
sehnen uns nach einer Dusche oder wenigstens nach Wasser.
     
    Von
einer alten Kommentur der Hospitaliter finden wir nur noch einen Stein mit dem
achtspitzigen Kreuz. Es ist das Symbol für die Bergpredigt Jesu mit den acht
Seligpreisungen. Ich summe das Lied vor mich hin:
     

    Längst
sind wir durch Cahors am Fluß Lot gezogen. Dort war einst ein großes Hospiz zu
finden in der Nähe der Kathedrale St. Etienne mit einem seltenen Tympanon, das
die Himmelfahrt Christi darstellt. Über die schöne Valentré-Brücke geht es
weiter bis Moissac mit dem erhabenen romanischen Christus am Kreuz in der
Kathedrale und einem sehenswerten Kreuzgang. Dann die vier alten Bischofsstädte
mit entsprechend lohnenden Kirchen: Lectoure, Condom, Eauze und Aire-sur
l’Ardour. Vor Eauze überschreiten wir die Brücke aus der Römerzeit, die Pont
d’Artigues. Hier stand einst ein großes Hospital, von dem wir nicht die
geringsten Reste entdecken können; aber an den Bauernhäusern in der Nähe sehen
wir, woher die Bausteine alle genommen sind.
     
    Nach
über 600 km Weg haben wir ein großes Ziel vor uns: Les Pyrenees. Unterwegs ein
schöner Bauernhof, der schon außen Wasser für den Pilger anbietet und auf einen
Rastplatz im Innern hinweist. Mit einer riesigen Muschel zeigt der Besitzer an,
daß er selber den Chemin du Roy, den Königsweg gegangen ist; er vermerkt auf
einer Tafel: 924 km sind es von hier aus bis zum Apostel. Es ist der erste Tag,
und es sollte auch der einzige bleiben, da wir keinen Schatten geworfen haben.
Als es dann sogar zu regnen beginnen will, breitet Jakobus seinen Mantel über
uns aus und wir können nach kurzer Pause trockenen Fußes weitergehen.
     
    Schatten
     
    Lautlos
umkreist uns
    der
Schatten.
    Am
Morgen
    weist
er den Weg
    wie
ein langer Finger
    nach
Westen, nach Westen.
    Am
Mittag
    läuft
er ganz kurz
    an
unserer Rechten,
    wie
um uns
    in
der Hitze zu stützen.
    Am
Abend
    treibt
er uns mit letzten Kräften
    zum
Refugio.
    Endlich
ist Nacht.
     
    Von
einem Pilger wird erzählt, daß er an einem Brunnen mit dem Teufel persönlich in
einem seltsamen Geschäft handelseinig geworden sei. Gegen das verlockende
Versprechen, daß er immer ein paar Geldstücke mehr in der Tasche habe, als er
gerade brauche, hatte er seinen nutzlosen Schatten an den Leibhaftigen
verpfändet. Der Handel schien dem Jakobusbruder gut und ungefährlich und er
ahnte nicht, daß damit auch seine Seele in höchster Gefahr war. Denn überall,
wo er Menschen begegnete, schreckten sie vor ihm zurück; sie bemerkten schnell,
daß er keinen Schatten warf, nicht in der Sonne des Tages, noch im Schein des
abendlichen Lagerfeuers oder im Licht der flackernden Öllampe im Hospiz. Da
half ihm alles Geld nichts, das er einsetzen konnte; die Menschen hielten ihn
für den Teufel oder einen seiner Knechte. Der Schattenlose wurde wie ein Aussätziger
gemieden und rannte verzweifelt vor sich

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