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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Breitenbach
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herumgewandert;
unser Schatten, der unser treuester Begleiter ist.
     
    Pilgerkette
     
    Wer
geht voran,
    wer
kommt hinterher?
    Die
Steineichen und
    Wacholderbüsche
    saugen
die Pilger auf,
    flüstern
den Kommenden,
    winken
den Gehenden,
    raunen
ihnen Vergangenheit,
    deuten
die Zukunft.
    Die
Schatten schwingen
    nach
gestern und morgen.
    Nie
bist du der Erste,
    niemals
der Letzte.
    Der
Erste der Letzten
    bist
du auf dem Weg.
     
    Mit
der Bitte „Betet für meinen schwerkranken Vater und meine Cousine“ schickt uns
die Wirtin vom Parkhotel zu Montcuq in den Morgen. Weil sonst noch alles
schläft, gibt es zum Frühstück nur die Melone von Robert Reitz. Später, das
Land vor Moissac ist wieder mit Wasser gesegnet, Obst in Fülle für den
Fußpilger, Rieslingtrauben und Monatserdbeeren, Nektarinen und Brombeeren, dazu
ein Stück Weißbrot; was wollen wir mehr?
     

    Es
war schon immer das gute alte Recht des Pilgers, sich am Rand der Straße zu
ernähren, mit der Gastfreundschaft der Bewohner zu rechnen und mit der
Großzügigkeit der Johanniter und Antoniter, der Templer, Malteser und anderer
Gemeinschaften, die in ihren Niederlassungen und Hospizen für die Jakobusbrüder
sorgten. In den Zeiten der Hochblüte konnten die Pilger aber auch zur Landplage
werden; wir wurden gelegentlich nur wie bunte Exoten bestaunt. Jedenfalls
wurden wir nirgends vertrieben, wie es früher manchmal das Schicksal der Pilger
sein konnte. So klagt einer, daß er „übel zugerichtet“ worden sei, nur weil er
sich an Trauben gelabt hatte; ein anderer wurde aus einem Strohlager „von Hunden
herausgehetzt, daß er nicht nur völlig außer Atem gekommen, sondern auch Hab
und Gut zurückgelassen“ habe. Manche Städte verschließen vor den Pilgermassen
ihre Tore, Ortschaften stellen Wachen auf; so sind oft weite Umwege nötig oder
gefährliche und unbequeme Nachtlager im Freien.
     
    Bewußt
werden deswegen Geschichten zur Warnung an allzu hartherzige Einheimische
erzählt: Einer Frau, die beteuerte, selbst keinen Brocken Brot mehr im Haus zu
haben, wurde auf den Fluch des Pilgers hin alles Eßbare im Vorratslager zu
Stein. Einem Weber riß das neue Tuch mitten entzwei, als er ein Stück Brot
verweigerte. Die Quelle versiegte einem Bauern, weil er Pilger mit Hunden vom
Hof gehetzt hatte. Noch schlimmer erging es der Stadt Poitiers. Dort suchten
zwei Pilger, die auf der Heimreise und wohl deswegen völlig mittellos waren,
vergeblich nach einer Unterkunft um Gotteslohn. Erst ganz am Ende der
Hauptstraße, im letzten Haus, konnten sie bei einem Armen unterschlüpfen. In
jener Nacht brannte die ganze Straße ab, angefangen beim ersten Haus, wo die
beiden vergeblich um Quartier gebeten hatten; an die tausend Häuser wurden ein
Raub der Flammen, nur das Haus des gastfreundlichen Armen wurde verschont.

7
    Auf dem Weg
    kommt uns Gott ganz nahe.
    Wir sind bei ihm zu Gast

I n
der Regel galt für die Pilger das alte christliche Prinzip, abgeleitet aus dem
Wort Jesu: „Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt
25,35); es wurde, wenn auch manchmal unter großen persönlichen Opfern der
Gastgeber, eingehalten. Im Pilger Jesus Christus selbst wieder zu erkennen, ihm
ein Glas Wasser zu reichen, in seinem geschundenen Leib Christus selber zu
pflegen, das war die große Aufgabe, der sich die Ordensritter unterzogen. Zwar
fanden die Wallfahrer auch bei Gastwirten Aufnahme und Verpflegung, nicht
selten auch bei Privatpersonen; meistens aber übernachteten sie, wenn es
irgendwie ging, in den Hospizen am Wege, deren Netz im Laufe der Jahrhunderte
immer enger wurde. Am Schluß kam es sogar zum gegenseitigen Abwerben der Pilger.
Ein Bericht überliefert, daß sich zwei Bruderschaften in Burgos auf offener
Straße um die Neuankömmlinge gerauft hätten.
     
    Auf
der Durchreise
     
    Ein
Pilger wird in einem Kloster
    aufgenommen.
    Er
ist erstaunt über die einfache
    Ausstattung
der Zelle, die ihm
    der
Mönch überläßt.
    „Wo
habt ihr denn eure Möbel?“,
    fragt
der Pilger.
    Der
Gastgeber fragt zurück:
    „Und
wo habt ihr eure Sachen?“
    „Ich
bin doch auf der Durchreise“,
    antwortet
der Pilger.
    „Wir
auch!“, meinte der Mönch.
     
    In
den Hospizen der Orden und Bruderschaften gab es ein festes Ritual: Dem Gast
wurden zunächst die Füße gewaschen, wie schon Jesus an den Jüngern nach dem
Letzten Abendmahl getan und dazu gesagt hatte: „Ich habe euch ein Beispiel
gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt

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