Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Breitenbach
Vom Netzwerk:
selber davon. In der Nähe von Ostabat,
dort, wo die drei Pilgerwege zusammenkommen, war er mit seiner Kraft am Ende.
Er wollte sich in einen Brunnen stürzen, um mit seinem Leben auch der Qual ein
Ende zu machen. Doch er fiel in den Mantel des Jakobus, der ihm in der
hilfreichen Gestalt eines Pilgers erschienen war. Während der Mantel sich
wieder zu seinem Schatten wandelte, fiel ein Goldstück klingend zu Boden. Es
war das letzte. Jakobus sei Dank.

8
    Bleibe niemals auf
    der Stelle.
    Geh mit den Brüdern
     

E in Gedenkstein markiert die
drei Wege, die sich, zwei gute Wegstunden vor Ostabat, noch diesseits der
Pyrenäen, zu einem zusammenfinden. Es ist der Stein von Gibraltar, benannt nach
dem arabischen Feldherrn Gibr al Tarik (um 710), der auch dem Felsen und der
Halbinsel an der Südspitze Spaniens den Namen gegeben hat. Irgendwie ergriffen
rasten wir an diesem Mal und lassen im Geiste die Pilgerströme an uns
vorüberziehen, die von Tours, von Vezelay und von Le Puy kommend, hier
zusammentreffen, um gemeinsam das Gebirge zu übersteigen. Der Stein von
Gibraltar ist ein sinnvolles Denkmal für ein Vereintes Europa, das gerade
entsteht. Es ist gleichgültig, wer wir sind und woher wir kommen; wichtig ist,
daß wir gemeinsam weiterziehen.
     
    In
der Chapelle de Soyarza finden wir ein weiteres Pilgerbuch, in das wir uns
eintragen. Es ist in einem stimmungsvollen Gastraum neben dem kleinen
Gotteshaus aufgelegt und verrät uns unsere Vorläufer; einen Teil von ihnen
werden wir noch einholen, wenn wir unser Tempo beibehalten. Es ist dann
jedesmal ein großes Hallo, wenn man sich kennt, ohne sich je zuvor gesehen zu
haben. Ein Strauß frischer Rosen, es ist die Sorte Gloria Dei mit üppigen
Blüten, beweist uns, daß ein guter Mensch aus dem Tal, einige Stunden entfernt,
ständig für frische Blumen sorgt. Im Pilgerbuch stehen fortlaufend die
entsprechenden dankbaren Bemerkungen.

    Da
schmückt also ein Mitmensch nicht nur die Kapelle, er zeigt auch den
Wallfahrern seine Hochachtung und seinen Respekt. Lange begleitet uns das zarte
Goldgelb der Rosen und ihr herrlicher Duft.
     
    Wir
sind im Land der Basken angelangt, die diesseits und jenseits des Gebirges zu
Hause sind. Wenn wir ein Vereintes Europa bauen, dann muß es ein Europa der
Landsmannschaften sein und nicht ein Gebilde, das durch politische Ereignisse
zusammengezwungen wurde. Wir beten darum, daß in dieser neuen Einheit Franken
und Basken, Wallonen und Katalonen, Bayern und Iren, Flamen und Tiroler
zusammenleben dürfen und nicht einfach nur Deutsche, Spanier, Franzosen und
Engländer.
     
    Wir
erfahren schnell, daß im Baskenland eine alte, uns fremdartig vorkommende
Sprache gebraucht wird. Der Pilger früher bekam es mit der Angst zu tun, wenn
er von hier an rein gar nichts mehr verstehen konnte. „Dann kamen wir in ein
Land am Gebirge“, hat einer aufgeschrieben, „da wohnen Leute mit einer
schrecklichen Sprache, die keiner verstehen kann.“ In der Tat, uns begegnen
streng blickende Männer, die unvermeidliche schwarze Mütze aus gewalkter
Schafwolle auf dem Kopf, um den Hals ein rotes Tuch gebunden. Aber sie grüßten
durchaus freundlich, wir aber brechen uns beim Versuch, auf baskisch zu
antworten, fast die Zunge ab. Etche heißt bei ihnen Haus, der Berg Hegi; Iguzki
ist im Baskenland die Sonne und das Kreuz heißt Kurutze. Die Herkunft dieser
Sprache bleibt im Dunkel; sie ist mit keiner europäischen Sprache verwandt.
     
    Über
dieses herbe Land klagte ein anderer Pilger: „Es gibt hier wenig Brot und
keinen Wein; dafür Äpfel und Milch. Die Leute sind mürrisch und leicht geneigt,
einen zu schlagen.“ Wir jedoch blieben ungeschoren. Wir besuchen eine Bar und
kosten den Cidre, einen spritzigen Apfelwein, das Lieblingsgetränk der Basken.
Dieser Apfelwein wird an der Bar ausgeschenkt wie bei uns das Bier. Er schmeckt
frisch und macht fröhlich. Dazu gibt es einen hauchdünnen Pfannkuchen, nach
Wunsch mit Marmelade, Honig oder Maronenbrei bestrichen. Als wir einem der
Männer von unserer Befürchtung erzählen, im spanischen Teil des Baskenlandes
könnten wir von Bomben bedroht sein, lacht er nur, auf einen übermannsgroßen
Stock gestützt: „Zeigt euch als Pilger und haltet euch von der Guardia Civil
möglichst fern.“
     
    Die
nahen Pyrenäen hüllen sich bis ins Tal in dichte Wolken. Noch ein Tag, dann ist
die Hälfte unseres Pilgerweges erreicht. Erst bei Saint-Jean-le-Vieux sehen wir
das Gebirge; im Grenzort Saint-Jean-Pied-de-Port

Weitere Kostenlose Bücher