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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Breitenbach
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Jakobus in einer
einzigartigen Vision. Der spätere Kaiser des Heiligen Römischen Reiches sieht
am Himmel eine Straße aus vielen Sternen; ihre Spur führt bis ans Ende der
Welt. Durch dieses Zeichen wird dem König der Franken bedeutet, daß er sein
Heer durch die Hilfe des Apostels zum Sieg über die Mauren führen wird. Jakobus
selbst wird den Kriegern voranziehen. Die Sterne am Himmel können aber auch
bedeuten, daß bis zum Ende der Zeiten der Strom der Pilger auf dem Sternenweg
nicht mehr abreißen wird. Und wirklich, in der Nacht, die wir im Freien
verbringen müssen, strahlt über uns die Milchstraße so hell, wie wir sie noch
nie beobachtet hatten. Sie zeigt uns eine himmlische Spur zu unserem großen
Ziel.
     
    Karl
der Große wagt im Vertrauen auf die Vision den Kampf mit den Sarazenen.
Pamplona stellt sich ihm als erste Festung in den Weg; es gelingt dem Feldherrn
aber erst nach einem erneuten Eingreifen des Apostels die Stadt zu erobern.
Jakobus, der schon im Neuen Testament den Beinamen Donnersohn trägt,
erschüttert die Mauern der Stadt; sie stürzen ein, wie ehedem die Wälle von
Jericho unter dem Klang der Widderhörner und Posaunen in der Zeit Josuas. Ohne
weitere Gegenwehr, so behauptet die Legende, rückt Karl bis zum Grab des
Apostels in Santiago vor. Seine Gegner seien durch den Fall von Pamplona wie
gelähmt gewesen. Schließlich an der Küste angelangt, habe der König bei El
Padron seine schwere Lanze in den Sand gerammt und ausgerufen: „Finis terrae! -
Hier ist das Ende der Welt!“
     
    Doch
so einfach, wie die Legenden die Geschichte oft deuten, war es für Karl nicht.
Mehrfach kam es zu blutigen Kämpfen zwischen den Sarazenen und den Franken. In
Roncesvalles geriet der fränkische König mit seinen Mannen in einen Hinterhalt;
die Basken wollten ihm offensichtlich den Rückzug abschneiden. Roland deckt das
Schicksal seines Herrn mit Leib und Leben; mit vielen Getreuen wartet er hier
auf die Auferstehung. Unsterblich ist er schon jetzt im Rolandslied, einem
Heldenepos mit sechzehntausend Versen, in dem die Ereignisse in Spanien
ausführlich beschrieben werden. Viele Namen von Städten, die nach wie vor für
den Pilger wichtige Stationen sind, tauchen in diesem Lied auf: Pamplona und
Estella, Carrión de los Condes und Sahagún, León, Astorga und Mansilla de las
Mulas. Damit sind auch unsere nächsten Zielorte bereits notiert.
     
    Roland
     
    zerschlug
Durandal, sein Schwert,
    am
braunen Felsen als alles zu Ende war
    und
die Schlacht verloren.
    Mit
ihm lagen
    zu
Boden geschmettert, Turpin,
    der
Erzbischof von Reims, und Otto,
    Oliver,
Gerin und Gerer, Berengar,
    Sansun
und all die Recken,
    die
Lug und Trug vernichtet hatte.
    Roland
begrub unter sich das Horn Olifant,
    und
die Waffe, die für den König
    die
ganze Welt erobert hatte:
    Das
Anjou und die Bretagne,
    Burgund
und Normandie,
    Aquitanien,
Provence, Lombardei...
    Roland,
der Ritter,
    bot
schließlich Gott selber
    den
Handschuh, den Rechten
    als
Sterbender ritterlich an.
    Und
Gabriel, der Erzengel, kam,
    nahm
ihn und führte den Helden
    in
den Himmel der Himmel.
     
    Wie
alle Santiagopilger haben wir die Rolandskapelle besucht. Hier sind sie alle
auf einer letzten Lagerstatt versammelt, die den Weg zum Apostel mit ihren
Waffen eröffneten und sichern halfen. Unzählige sind vorher und nachher über
den Gebirgseinschnitt des Ibañetapasses gezogen. Für viele war der Weg eine
Einbahnstraße ohne Wiederkehr; ans Ziel kamen sie allemal.
     
    Wie
gesagt, die Geschichte sieht die Ereignisse viel nüchterner als das Heldenlied
und die ausschmückende Legende.
    Tatsache
ist, daß Karl der Große 778 gen Spanien und damit gegen den Islam zu Felde
zieht und die ersten Schritte für die Reconquista, die Wiedereroberung des
Landes einleitet. Es sollte noch bis zum Jahr 1492 dauern; erst mit dem Fall
Granadas war die Macht der Mauren gebrochen und Jakobus bekam für seine Hilfe
den martialischen Titel „Mauromortos“, der Maurentöter. Den Pilger zu allen
Zeiten kümmern geschichtliche Tatsachen weniger. Für ihn sind die Getreuen um
den Markgrafen Roland gefallen für Gott, den Apostel und den König. Mehr will
er nicht wissen und mehr braucht er auch nicht für seinen weiteren Weg.
     
    Wir
hätten in Roncesvalles bleiben sollen. Die Gasthöfe und Hotels am Weg sind
wegen des Feiertages Maria Himmelfahrt überfüllt; die Banken geschlossen. Wir
haben nur einige Peseten, die wir wagemutig oder leichtfertig in einer Bar zu
Bier machen,

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