Lautlos wandert der Schatten
denn es war wieder sehr heiß geworden. Wir müssen weiter, ohne
Brot, ohne Unterkunft. Unsere Stimmung sinkt. War das der gebührende Empfang
durch den Apostel in seinem Land?
Wegzeichen
Dreimal
finden wir etwas
auf
dem Weg.
Dreimal
liegt ein Zeichen
für
uns an der Straße.
Dios ayuda y Santiago.
Ein
Brot. Eine
Zwiebel.
Ein
Kreuz.
Was
sie bedeuten,
für
mich? Für den Freund?
Dios ayuda y Santiago.
Brot,
Zwiebel und Kreuz:
Gott
hilft und der heilige Jakob.
Wir
hatten in der Tat mit dem Apostel eine oder zwei Stunden gehadert, weil er uns
gleich am ersten Tag auf spanischem Boden ohne Bett und Brot ließ. Im Rucksack
gab es nur noch ein Stückchen Käse und einen Schluck Wein in der Flasche.
Vorsorglich lassen wir uns von einem Acker am Waldrand eine Handvoll Kartoffeln
spendieren, die wir uns am Lagerfeuer braten wollen. Doch mein Sinn steht immer
noch nach Brot. Da ruft mein Begleiter, der mir einige Schritte voraus ist: „Da
liegt ein Brot! Ein frisches Weißbrot!“ Quer über dem schmalen Steg liegt
tatsächlich ein Brot. Wahrscheinlich hat ein Pilger vor uns die noch frisch
duftende Stolle verloren, oder Jakobus hat sie ihm augenzwinkernd aus dem
Rucksack gezogen. Siempre favorece el cielo los buenos deseos. - Der Himmel
erfüllt noch immer die guten Wünsche. Wie oft übersehen wir in unserem Leben
die kleinen Wunder, weil wir die großen erwarten! Wie oft sind wir unzufrieden,
nur weil wir das große Glück erwarten, das nicht kommen will!
10
Ein Gott ist der Mensch,
wenn er träumt
S ternenklare Nacht. Die
Kartoffeln liegen in der Glut. Sorgfältig haben wir die letzten Tropfen des
vino tinto genossen. Wir liegen wohlig geborgen im Schlafsack und betrachten
schweigend den Himmel über uns. Im Schwarz der Nacht leuchtet eine glitzernde und
blinkende Sternenspur auf, von Osten nach Westen, der Weg Karls des Großen.
Wieviele Menschen sind seither diesen Weg gegangen, diesen Sternen am Himmel
nach? Wieviele Menschen haben ihr Leben für diesen Weg zum Pfand gegeben? Wir
lesen am Himmel wie in einem großen Buch. Die Bibel, das Buch der Bücher, kennt
viele Weggeschichten; die meisten menschlichen Schicksale erfüllen sich auf dem
Weg. Es beginnt mit Abraham, der aus seiner Heimat auszieht, um den
Verheißungen Gottes zu folgen. Jakob, der zum Stammvater des Volkes Israel
werden sollte, kämpft mit Gott auf dem Weg einen Kampf um Leben und Tod. Auf
dem Weg durch die Wüste kommt Mose mit sich ins Reine und begegnet seinem Gott.
In seinem Auftrag führt er in einem gewaltigen Exodus das Volk aus Ägypten zurück
in das Gelobte Land; 40 Jahre dauert alleine diese Weggeschichte Israels.
Auch
im Neuen Testament finden die Menschen sich und ihr Heil unterwegs: Maria geht
übers Gebirge zur Base Elisabet; später wandert sie mit Josef viele Tage weit
nach Bethlehem, weil der Messias nur dort geboren werden konnte. Von Sternen
geführt, machten sich Magier aus dem Morgenland auf, um nach langer Wanderung
das Kind anzubeten, in dem uns Gott selber gegenübertritt. Das Leben Jesu war
ein einziger Weg. Angefangen von der Flucht nach Ägypten bis zum Kreuzweg,
erfüllte sich sein Leben unterwegs, auf den Straßen des Landes. Matthäus
schreibt: „Jesus zog in ganz Galiläa umher, lehrte in den Synagogen, verkündete
das Evangelium vom Reich und heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden“ (Mt
4,23). Für Lukas ist Jesus der Mann unterwegs: „Doch heute und morgen und am
folgenden Tag muß ich weiterwandern; denn ein Prophet darf nirgendwo anders
umkommen als in Jerusalem“ (Lk 13,33). Auf welchem Weg wird sich unser
Schicksal erfüllen?
Mit
der Milchstraße am Himmel kommen wir ins Träumen; es dauert lange bis uns der
Schlaf einholt. Tausende von Pilgern ziehen an uns vorüber. Sie alle mußten
eine Unterkunft haben für die Nacht, einen Bissen Brot, einen Schluck Wasser.
Wir haben uns eingereiht in diesen Pilgerstrom; ein dünnes Rinnsal zwar im
Vergleich zum Mittelalter. Doch täglich kommen in Santiago noch sechs bis acht
Pilger an, die den ganzen Weg zu Fuß gegangen sind. Sie sind mit
unterschiedlichsten Motiven aufgebrochen. Aber die meisten erfüllten sich einen
Traum, den sie von früher Jugend an geträumt haben; ganz frei auf einem Weg zu
sein, allem, vor allem sich selbst ausgeliefert. Wenige sind es derzeit noch,
die ihren Traum wahr machen und aus ihrem Leben herausspringen; aber es werden
immer mehr. Die Wallfahrt lebt. Der Weg belebt.
Der
Botschafter eines
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