Lautlos wandert der Schatten
sogar Mord werden von den Pilgern berichtet,
die der Stadt mit ihren Verlockungen nicht gewachsen waren. Manche bleiben an
liederlichen Frauen hängen oder verwickeln sich in dunkle Geschäfte, die ein
Weiterziehen oder ein Zurück unmöglich machen. Wer sich auf den Weg seines
Lebens gemacht hat, ist vor Versuchungen nicht sicher, der muß nicht unbedingt
das Ziel erreichen. Es kam sogar vor, das berichtet kein geringerer als Papst
Calixtus II. (1119-1124) in einer Predigt, daß sich Pilger aus Franken und dem
Baskenland um einen guten Platz in der Kirche stritten und sich mit Stöcken und
Steinen so zusetzten, daß einer gleich umkam, ein anderer unterwegs auf der
Flucht starb.
Ein
besonderes Problem war der Versuch, die Pilger auszunutzen und auszubeuten. So
werden unter dem Begriff Beutelschneider nicht nur die Diebe zusammengefaßt,
die an das Geld des Pilgers direkt gehen, sondern auch alle, die sich durch
unehrliche Tauschgeschäfte, durch miserables Essen, durch gepanschten Wein,
schlechten Kurs beim Geldwechsel und andere Betrügereien bereichern. Auch hier
waren die Städte führend, so daß manche Wallfahrer die Städte durchqueren, ohne
in ihnen zu übernachten.
Calixtus
II. führt in seiner Predigt zum Gedenken der Überführung der Gebeine des hl.
Apostels unter anderem aus: „Was soll ich von schlechten Wirten erzählen,
welche die Pilger mit zahllosen Betrügereien enttäuschen? Manche gehen ihnen am
Stadtrand entgegen und küssen sie, als ob sie ihre von weit angereisten
Verwandten wären.... Sie reichen zuerst zum Kosten den besten Wein und
verkaufen dann den schlechten.... Weitere verkaufen zwei oder drei Tage alte
Fische oder gegartes Fleisch, an denen die Pilger dann erkranken.... Einer hat
betrügerische Wein- oder Hafermaße: außen riesig, innen jedoch klein und schmal
und unzureichend ausgehöhlt.... Manche lassen beim Eintreffen neuer Gäste die
alten bezahlen und vertreiben sie dann.... Der schlechte Wirt reicht ihnen
todbringende Getränke, um sich ihrer Habe zu bemächtigen.“
Damit
ist die Klageliste des Papstes über die Mißstände am Pilgerweg noch nicht zu
Ende. „Was soll ich von der Dienerin sagen, die auf Geheiß ihrer Herrin das
Wasser im Haus vergißt, damit die dürstenden Pilger in der Nacht kein Wasser
finden und den Wein des Wirts kaufen? Was ist mit jener, die nachts mit
Zustimmung des Wirts Hafer oder Gerste aus der Futterkrippe stiehlt? Sie seien
verdammt. Ebenso treffe der Bann die Wirtsmägde, die sich aus Hurerei und
Geldgier auf teuflisches Geheiß nachts Pilgerbetten zu nähern pflegen. Die
Dirnen, die aus diesem Grund zwischen der Miñobrücke und Palas do Rey an
waldreichen Orten den Pilgern häufig entgegentreten, müssen nicht nur
exkommuniziert, sondern von allen geplündert und durch Abschneiden der Nase
öffentlich geächtet werden.“ Versuchungen über Versuchungen - wir halten stand.
Wir
sehen, wieviele Gefahren auf den Pilger lauerten. Uns ist das alles nicht
zugestoßen. Überall wurden wir gastfreundlich aufgenommen und angemessen
bewirtet; lediglich einmal mußten wir - ausgerechnet bei einem Nonnenkloster -
vor der Türe bleiben. Mag sein, daß uns der lange Weg schon zu sehr gezeichnet
hatte. In Pamplona hatten wir allerdings den Eindruck, als wir nach langem
Suchen endlich eine Unterkunft gefunden hatten, daß wir in nichts anderem als
einer billigen Absteige untergekommen waren. Es fiel uns beiden allerdings
nicht schwer, Sitte und Moral zu wahren. Wir waren, Jakobus sei Dank,
todmüde...
Die
Begegnung mit Pamplona war für uns allerdings auch die erste große Begegnung
mit dem Leben in Spanien. Als wir durch die gewaltigen Festungsmauern
eingezogen waren, die schon Karl dem Großen Schwierigkeiten gemacht hatten,
empfing uns ein lautes und verwirrendes Großstadtleben, das am Abend und in der
Nacht nur noch lustiger und volkreicher wurde. Die ganze Stadt schien auf den
Beinen zu sein, nicht um uns zu begrüßen, sondern den Abend nach der großen
Hitze zu feiern. Aber wie schon so oft: Die Kathedrale samt Kreuzgang waren
verschlossen. Das Pilgerhospiz, das in Pamplona bis ins 19. Jahrhundert
existierte, war abgerissen. Draußen vor der Stadt, das erfuhren wir erst
später, gab es eine Reihe von privaten Herbergen, Reste ehemaliger
Bruderschaften. Heute sorgt der Fremdenverkehr für den Ersatz der fehlenden
Pilgermassen.
Um
das Jahr 1100 machte eine Pilgerfamilie aus Köln auf dem Weg nach Santiago Rast
in Pamplona.
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