Lautlos wandert der Schatten
anderen
Ende des Dorfes zeigt sich ein Tal und auf dem nächsten Kegel das nächste Dorf.
In
Los Arcos waren gerade die Stiere los. Die Jungtiere, frisch von der Weide,
trieb die Jugend des Ortes zu Paaren durch die abgesperrten Straßen der Stadt,
während die Erfahrenen in der Bar lautstark das Treiben diskutierten und die
Chancen bestimmter Nachwuchsstars ausrechneten, einmal ein berühmter
Stierkämpfer zu werden. Die ganze Stadt war wie im Rausch und wir können die
Kirche Santa Maria, in der Gold und Farbe in verschwenderischer Fülle
ausgegossen sind, nicht besichtigen. Die Absperrungen der Corrida zu
überwinden, hieße, sich mit den kampflustigen Stieren anlegen.
Zwei
Französinnen aus Straßburg trafen wir in einer kleinen Bar von Torres del Rio.
Sie hatten ein wenig geschummelt, wie sie sagten, und waren ihrer pilgernden
Familie mit dem Bus vorausgefahren. In dem mehr als dürftigen Refugio des
Dorfes wollten sie übernachten. Es ist schon unverschämt, welche kalten Löcher
manchmal den Pilgern als Schlafgelegenheiten angeboten werden; da sehnt man
sich nach den Zeiten der Ordensritter und Bruderschaften zurück. Als wir hier
die Kirche vom hl. Grab besichtigen wollten, hatten wir wieder Pech.
Verschlossen. Wer hat den Schlüssel? Ist denn die ganze spanische Kirche so
verschlossen wie ihre Gotteshäuser?
Wir
ziehen weiter und schlüpfen in Viana bei einer guten Señora unter, die uns
nicht nur ein ausgezeichnetes Abendessen serviert, sondern, nachdem wir
ausgiebig geduscht hatten, auch noch unsere ropa, unsere Sachen, wäscht. In der
Nacht ziehen grollende Gewitter durch. Wir kuscheln uns tief in die Mulde des
gewaltigen Bauernbettes. Am nächsten Morgen ist der Himmel klar und wir suchen
in den umliegenden Gassen vergeblich nach unseren Socken, die der Sturm vom
Balkon geweht hatte.
Ansonsten
enttäuscht uns Viana, obwohl man den Namen der Stadt auf der Zunge zergehen
lassen kann. Viele Häuser sind mit Brettern vernagelt, unbewohnbar. Höher als
bis zum ersten Stock darf der Blick nicht gehen. Alles andere wirkt ungepflegt,
dem Verfall preisgegeben. Wir löschen unseren Rotweindurst des vergangenen
Abends auf dem Marktplatz an einem Brunnen, der aus vier Röhren gleichmäßig
mildes Wasser verströmt. Er war einst die einzige Wasserversorgung der ganzen
Stadt. In Santa Maria, der Hauptkirche von Viana, liegt, man lese und staune,
Cesare Borgia begraben, der berüchtigte Sohn von Papst Alexander VI. Vor den
Toren der Stadt ist der ruchlose Mensch, dem nichts heilig war, kaum 32 Jahre
alt, im Kampf gefallen. Er hat zusammen mit einem verkommenen Papsttum die Kirche
des frühen 16. Jahrhunderts durch sein ausschweifendes Leben, durch Schandtaten
und Morde in bösen Verruf gebracht. Wie viele Borgias kann eine Kirche
verkraften?
Wir
gehen auf Logroño zu und überqueren dabei den jungen Ebro, der früher schon von
hier aus Schiffe tragen konnte. Als Brückenbauer über den zu Zeiten recht
ungestümen Fluß betätigten sich Juan de Ortega und Domingo de la Calzada, die
wir noch besuchen werden. Hier vor dem Brückenkopf erschien der Apostel
Jakobus, um den Christen bei der Schlacht von Clavijo zum Sieg zu verhelfen.
Seit dieser Zeit trägt der Apostel den Titel Maurentöter; er wird deswegen gern
mit einem Sarazenen unter seinem Fuß dargestellt, wie ein St. Georg, der den
Drachen überwunden hat.
Obwohl
wir von dieser sagenhaften Schlacht keinerlei geschichtlich gesicherte Beweise
haben, ist dieses Wegzeichen von Clavijo ein wichtiges Datum für die Pilger
geworden. In der Stadt selbst umarmte uns eine Frau voller Freude mitten auf
der Straße. Sie hatte den Pilgerweg mit ihrer Familie vor zwei Jahren gemacht
und ist glücklich darüber, daß jetzt wir auf ihrem Weg sind.
Nach
Navarette, einer Siedlung mit Topfpflanzen im ersten Stock und dem Vieh im
Parterre, wird der Camino plötzlich zur Nationalstraße. Wir müssen am Rand des
Asphalts pilgern, umtost von Autos und Schwerlastfahrzeugen. Nur wenig tröstet
uns das fröhliche Hupen und Winken der Brummipiloten; sie erkennen in uns
Weggenossen, die wie sie auf den Straßen der Welt unterwegs sind. Vor der Stadt
liegt ein großer Friedhof; einst gehörte er zu einem der bekanntesten
Pilgerhospizen auf dem Weg. Erhalten ist noch ein wunderschönes Portal. Wieder
ein Portal der Vergebung, das uns hoffen läßt.
Portal in Navarette
Rundbogen
der Verheißung
für
den Geschundenen,
Tor
der Hoffnung.
Wasser
und
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