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Lautlos wandert der Schatten

Lautlos wandert der Schatten

Titel: Lautlos wandert der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Breitenbach
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daß der Pfarrer seine Predigt dann mit dem Segen
beendet, wenn der Hahn ungeduldig krähen sollte. Das von vielen
Gottesdienstbesuchern erwartete Krähen löst jedesmal tosenden Beifall der
Gläubigen aus. Manches Gotteshaus müßte einen solchen Hahn beherbergen.
Jedenfalls geschah es auf Vermittlung des Santo Domingo, daß ein Hahn und eine
Henne die Wahrheit an den Tag brachten und einen Unschuldigen retteten.
     
    Die
Hühner von St. Domingo
     
    Der
Hahn kräht, die Henne gackert,
    schneeweiß
in der Kathedrale.
    Weiß
auch der Marmor,
    das
Grab des Brückenbauers,
    Domingo,
Heiliger des Wegs.
     
    Der
Hahn kräht, die Henne gackert
    schneeweiße
Zeugen der Wahrheit,
    Retter
eines Unschuldigen
    am
Grab des Wegebauers,
    Santo
Domingo.
     
    Der
Hahn kräht, die Henne gackert,
    schneeweiß
geleiten sie den Pilger
    über
Straßen und Brücken
    von
der Legende zur Wahrheit.
    Santo
Domingo von der Straße,
    ora
pro nobis,
    Führer
zum Apostel.
     
    Wir
schreiben das Jahr 1020. Ein deutsches Ehepaar ist mit dem 16jährigen Sohn auf
der Wallfahrt. In Santo Domingo verliebt sich die schöne, schwarzhaarige
Wirtstochter in den blonden Germanen. Als der ihr Liebeswerben nicht erhört,
weil sein Sinn nach Santiago gerichtet ist, schlägt ihre Liebe in Haß um. Sie
versteckt im Gepäck des jungen Mannes einen Silberbecher und bezichtigt ihn
nach der Abreise bei den Behörden des Diebstahls. Schon eine Wegstunde von der
Stadt entfernt, wird die Familie von Bütteln zurückgebracht. Nach kurzem Prozeß
gilt der Sohn als überführt und wird an den Galgen gehängt, obwohl er seine
Unschuld beteuert. Da gab es kein Erbarmen und keine Hilfe.
     
    Die
leidgeprüften Eltern ziehen alleine nach Santiago weiter und vollenden ihre
Wallfahrt. Als sie nach dreißig Tagen zurückkommen, finden sie ihren Sohn noch
am Leben. Santo Domingo oder Jakobus selbst, so will es die Legende, hatten dem
jungen Mann die Füße gestützt und ihm so das Leben erhalten. Die Eltern eilen
voller Freude zum Richter und bitten, ihren Sohn vom Galgen abzunehmen, da er
noch lebe. Der Richter, der sich gerade zum Mittagsmahl gesetzt hat, sagt: „So
sicher meine Brathühner im Herd tot sind, so wahr ist euer Sohn gestorben.“ Da
öffnet sich die Ofenröhre und ein weißes Huhn und ein weißer Hahn flattern
unversehrt heraus. Sofort eilen alle zum Richtplatz, holen den jungen Mann vom
Galgen und knüpfen sogleich das verleumderische Mädchen auf, das neugierig und
schuldbewußt zugleich mit zur Richtstätte gerannt war. Seit dieser Zeit haben
Henne und Hahn Gastrecht in der Kathedrale des Heiligen. Ihr Gackern und Krähen
ist der lebendige Beweis, daß die Legende und die Gerechtigkeit leben. Der
Apostel läßt die Seinen nicht im Stich, seine Helfer sind die Heiligen am Wege.
     
    Wir
ziehen weiter durch Dörfer, die im Hochsommer kein Wasser mehr haben und das
Wenige doch mit uns Pilgern teilen. Es macht uns auch nichts aus, daß wir das
kostbare Naß mit Schafen und Ziegen teilen müssen und aus dem gleichen Trog
schöpfen. Am Ortseingang von Belorado nimmt uns ein Spanier, der sich als
Lutheraner bezeichnet, eine Seltenheit für das katholische Land, ins
Kreuzverhör. „Warum macht ihr diesen Weg? Warum nehmt ihr diese Strapazen auf
euch? Wollt ihr euch den Himmel verdienen?“ Wir verstehen letztlich seine
Fragen nicht, und er nicht unsere Antworten. Weiß es der Himmel, wir wissen es
nicht. Letztlich mag die Antwort so aussehen: Alle Religionen haben den Weg als
Bild für das menschliche Leben gewählt. Der Weg ist die Urerfahrung unseres
Lebens, daß wir auf Erden keine Heimat haben. Sollten wir auf diese wichtige
Erfahrung verzichten?
     
    Was
unterscheidet den Pilger von den pieds-poudreux, den Staubfüßen und
Landstreichern, die ihr ganzes Leben auf der Straße verbringen? Ist der Pilger
ein frommer Landstreicher? Oder ist er ein Aussteiger, weil er sich, die
Gesellschaft, seine Welt nicht versteht? Ist er einer, der auf Kosten anderer
lebt? Diese Fragen stellten sich vor allem in den Zeiten, in der die Pilger die
Wege, die Ortschaften, das Land überschwemmten und zur Landplage wurden. Je
mehr Pilgerzeichen einer mit sich herumtrug, desto verdächtiger wurde er den
Einheimischen. Es entstand sogar ein Sprichwort: „Mit Schulden beladen wie ein
Jakobspilger mit Muscheln.“ Ein Spottlied aus jener Zeit singt:
     
    Wir
Jacobsbrüder mit grossem Hauffen
    Im
Land sind hin und her gelauffen /
    Von
Sand Jacob / Ach und gen Rom
    Singen
und betteln ohne

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