Lautlos
entfernt bist. Und von jedem wirklichen Schmerz. Von dir geht die Kälte der Rechtschaffenheit aus, und ich beneide dich darum. Aber ich würde nicht mit dir tauschen wollen. Ich kann mir einen Tausch nicht mehr vorstellen, nicht einmal mehr, irgendetwas mit dir auszutauschen. Nichts ergäbe einen Sinn. Nicht einmal mehr, ein Bier mit dir zu trinken.«
»Was hat dich bloß in diese sinnlose Wut versetzt?«, fragte O'Connor nach einer Weile. »Wir haben uns auf dünnes Eis begeben. Der Reiz lag darin, draufzubleiben, nicht einzubrechen.«
Clohessy zuckte die Achseln.
»Ich sagte ja, für dich war es ein Spiel. Außerdem erinnere ich mich an Tage, als du froh gewesen wärest, einzubrechen, um selbst wieder rausfinden zu müssen aus dem klammen Loch. Schon vergessen? Den Überdruss, die Sinnsuche? Aber ich sehe, dass du ein hundertprozentiger Sohn deines Vaters geworden bist. Du hättest die Kronjuwelen klauen können, dir stand immer alles offen.«
»Dir etwa nicht? Unsinn, Paddy. Ich hatte nichts, was du nicht auch gehabt hast. Du wärest ein brillanter Physiker geworden!«
Clohessy lachte leise.
»Ich bin ein brillanter Physiker geworden, Liam. Dafür haben sie begonnen, mich zu jagen. Als ich begriffen hatte, dass sich die IRA, die Ulster Freedom Fighters und die Red Hand Commandos durch rein gar nichts voneinander unterscheiden als durch Parolen, wollte ich raus aus der Sache. Aber ich hatte zu viel hübsches Spielzeug für sie entwickelt. Zu viele gute Ideen gehabt. Ich war der sprichwörtliche Mann, der zu viel wusste.«
»Du hättest es gar nicht so weit kommen lassen müssen«, sagte O'Connor zornig. Seine Worte schienen übers Wasser davonzuziehen. »Du hattest eine Zukunft, Paddy, ebenso wie ich.«
»Nein, Liam. Du hattest eine Vergangenheit, mit der man leben konnte, und ich nicht. Aber die Zukunft ist die Vergangenheit. Nichts sonst.«
MARITIM
Als O'Connor die Bar wieder betrat, waren keine zwanzig Minuten vergangen. Er setzte sich wortlos zwischen Wagner und Kuhn, nahm dem Lektor das Glas aus der Hand und leerte es in einem Zug.
Kuhn sah ihm mit ausdruckslosem Gesicht zu.
»Okay«, sagte er. »Nur, dass ich's kapiere. Die eine verabschiedet sich ins Bett und taucht sofort wieder auf, damit mir die Zeit nicht lang wird. Der andere geht ebenfalls schlafen, um eine halbe Stunde später meinen Cognac auszutrinken. Nichts davon gibt mir das Gefühl, es hätte was mit mir zu tun. So weit richtig?«
»Richtig«, sagte O'Connor.
Er führte die Finger zu den Schläfen und begann sie mit kreisenden Bewegungen zu reiben. Dann blickte er auf und sagte langsam:
»Ich habe gerade mit einem sehr gefährlichen Mann gesprochen.«
Wagner seufzte. In O'Connors Augen stand zu lesen, dass er es ausnahmsweise ernst meinte. Paddy schien sich als Lustbremse ersten Grades zu erweisen! Sosehr es ihr missfiel, war sie fest entschlossen, O'Connor bei der Bewältigung des Themas nach Kräften zu unterstützen. Schlicht und einfach, um das hohlwangige irische Gespenst aus seiner Vergangenheit zu exorzieren, bevor es weiter in ihrer Romanze herumspuken konnte.
»Wir haben uns unterhalten. Nein, falscher Begriff. Ich habe ein paar rhetorische Zierschritte gemacht und anschließend einem Monolog von Macbeth'scher Düsternis beigewohnt. Im ersten Moment war alles einfach nur seltsam. Als ich dann rauf zum Hotel ging, wurde es unheimlich. Vielleicht wirft meine Phantasie Blasen, aber mir ist Verschiedenes durch den Kopf gegangen. Können wir darüber reden?«
»Natürlich«, sagte sie brav. »Wo hast du ihn gelassen?«
»Paddy?«
»Ja.«
»In der Nacht verschwunden.« O'Connor betrachtete das leere Glas in seiner Hand, drehte es hin und her und stellte es wieder vor Kuhn hin. »Vielleicht hätte ich ihn aufhalten sollen, aber ich denke, es war besser, ihn vorerst gehen zu lassen. Die Bar ist ein sicherer Ort.«
»Du meinst, in seiner Nähe könnte es gefährlich werden?«
»Ich meine, es ist jetzt nicht der Augenblick, nach Shannonbridge zu fahren. Wenn du verstehst, was ich damit sagen will.«
»Mhm. Kapiert.«
Einen Moment lang war es grabesstill. Selbst das Gemurmel der wenigen Gäste, die ein Stück weiter saßen, schien erstorben zu sein. Nur das Handtuch des Barkeepers quietschte leise in einem Weinglas.
Kuhn lächelte dünn.
»Wisst ihr was?«, sagte er. »Euer konspiratives Getue ödet mich an. Nicht auszuhalten!« Er pumpte sich auf, dann explodierte er: »Liam, bei allem Respekt, würden Sie mir die
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