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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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nicht zuletzt darum so derb unter die Gürtellinie, weil es im Grunde lieb gemeint war.
    Seltsamerweise nahm die Persönlichkeit des Lektors diametral entgegengesetzte Züge an, sobald es um seine Arbeit ging. Vor seiner Hinwendung zu wissenschaftlichen Themen hatte er das Ressort Politik bei Rowohlt geleitet mit Schwerpunkt USA und UdSSR. Kuhn konnte einem die Geschichte des amerikanischen Präsidentialismus ebenso dezidiert und spannend auseinander legen wie die Emissionsmodelle schwarzer Löcher, und er war ein brillanter Lektor. Umso mehr verwunderte das zusammenhanglose Geschwafel, das er mitunter von sich gab. Wagner schien es, als versuche er sich mit seinem unbeholfenen Stammtischgehabe auf das Terrain Normalsterblicher herabzubegeben, wie er sie empfand – als sämtlich halbgebildet –, weil er im Grunde einfach nur Anschluss suchte. Humor besaß er möglicherweise, wenn auch höchst zweifelhaften. Er lachte antizyklisch, also bevorzugt dann, wenn es sonst keiner tat. Unterm Strich war er schlicht und einfach ein übrig gebliebener Achtundsechziger mit Bildung, die ihn daran hinderte, Spaß zu haben.
    Der Bus fuhr auf den Parkplatz hinter dem alten Messegelände und stoppte. Sie stiegen aus und gingen einige Meter zu Fuß.
    »Wo steht Ihr Wagen?«, fragte Kuhn und sah sie mitleidig an. »Bei der Größe einer Straßenlaterne sicher ein Problem, was Passendes zu finden. Ich meine, will sagen, dass Ihre … äh … Beine …«
    Wagner starrte zurück. Sie tat nichts, als ihn einfach mit Blicken zu geißeln.
    »Tja … vielleicht … ein Mini?«
    Wagner holte tief Luft. Kuhn machte runde Augen und gab sich den Anschein von Bestürzung.
    »Doch nicht etwa eine Isetta!?«
    Er hatte Humor!
    Wagner verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz ihres Golf und riskierte ein Auge, ob sich ihr Sitz noch ein Stück weiter zurückstellen ließ. Er war am hintersten Anschlag arretiert. Rien ne va plus. Sie klemmte sich hinters Steuer und hoffte, ihre Knie würden nicht so sehr nach oben stehen.
    Kuhn beobachtete sie, sagte aber nichts.
    »Los«, forderte Wagner ihn auf, »tun Sie was Nützliches und verraten Sie mir, wann und wo O'Connor genau ankommt.«
    »Ich dachte, das wüssten Sie.«
    »Nicht genau.«
    »Komisch, ich meine, ich hätt's Ihnen …«
    »Wann?«, donnerte Wagner. Kuhn zuckte zusammen.
    »10.40 Uhr. Wir, äh … sollen in der Lufthansa Lounge auf ihn warten. Die begleiten ihn bis an die Bar.«
    Bis an die Bar. Heiliger Sankt Patrick!
    Wagner drehte den Zündschlüssel und fuhr los. Kuhn rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. Dann beugte er sich zu ihr herüber und setzte das Gesicht auf, das sie von ihm kannte, wenn er etwas Freundliches sagen wollte. Sie hoffte, er würde es unterlassen.
    »Ich zum Beispiel bin ja nicht besonders groß …«, begann er.
    Wagner gab Gas. Kuhn plumpste zurück in seinen Sitz und gab etwas von sich, das wie »Oh!« klang.
    Vielleicht hatte aber auch nur der Motor aufgeheult.
1998. 02. DEZEMBER. MIRKO
    Am Tag, als Mirko das zweite Mal zum alten Kloster draußen in den Bergen fuhr, hatte er eine halbe Zusage in der Tasche. Gemessen an den exorbitanten Schwierigkeiten, die sein Auftrag mit sich brachte, wog sie mehr als eine ganze, die ihm irgendjemand sonst hätte machen können. Es war immer noch weniger, als er sich wünschte, und dennoch mehr, als er zu hoffen gewagt hatte.
    Anders als vor zwölf Tagen entsprach das Wetter der Jahreszeit. Es regnete. Die Hügel und höheren Erhebungen verbargen sich in schlierigem Grau. Je höher er kam, desto mehr senkten sich die Schwaden nieder und krochen kolossalen Raupen gleich auf die schmale Straße zu. Das Himmelreich lastete auf den Menschen und ängstigte sie zu Lebzeiten.
    Mirko stellte das Radio an, aber hier oben empfing er nichts als Rauschen. Er legte eine Kassette ein.
    Leise Musik erklang, irgendein Kaufhauszeug. Missmutig dachte er daran, dass er dem alten Mann eine Woche versprochen hatte. Es ärgerte ihn, länger gebraucht zu haben, der einzige Schönheitsfehler in seiner ansonsten gelungenen Recherche. Aber wenn sie sich heute einig würden über den Preis, bestand Aussicht, dass alles Weitere sehr schnell vonstatten ging.
    Das musste es auch. Sie hatten ein halbes Jahr zur Verfügung, und das war nicht viel.
    Aus dem Dunst tauchte das gezackte Band einer Serpentine auf, die aus den Wäldern in die steileren und kahlen Berge führte. Mirko schaltete zurück und trat aufs Gas. Der Geländewagen schraubte sich hoch,

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