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Lautlos

Lautlos

Titel: Lautlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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bis er über die Kuppe war und sich das jenseitige Tal vor ihm öffnete. An schönen Tagen konnte man von hier die ganze Ebene überblicken, in der das Kloster lag, bis dorthin, wo der nächste Gebirgszug begann.
    Mirko stoppte, rieb sich die Augen und starrte hinaus.
    In dem Talkessel stand eine schwarze Wand. Sie musste an die drei Kilometer hoch sein. Blitze zuckten darin. Mirko wusste, was ihn erwartete. Selbst in dem Allradfahrzeug würde er in den nächsten zwei Stunden unablässig das Gefühl haben, von den herunterrauschenden Wassermassen weggeschwemmt zu werden. Das Tor zur Hölle konnte nicht eindrucksvoller sein, und dieses Unwetter war für hiesige Verhältnisse nicht einmal sonderlich spektakulär.
    Ergeben ließ er den Wagen talabwärts rollen. Die letzten Kilometer sichtbarer Straße lagen gefältelt vor ihm, dahinter begann Dantes Inferno und das Aus für jeden Scheibenwischer.
    Er fragte sich, warum ein Mann in der Position seines Auftraggebers es vorzog, ihn an einem solchen Ort zu treffen. Es gab komfortablere Gegenden um diese Jahreszeit, um konspirative Zusammenkünfte abzuhalten. Vielleicht braucht er das Gefühl, in einem Film mitzuspielen, dachte Mirko. In allem, was er sagt und tut, ist er weniger dem wirklichen Leben verbunden als einer Inszenierung. Das Stück spielt irgendwo in der Vergangenheit, und wer seine Rolle darin nicht lernen will, muss abtreten. Nationalismus ist immer auf diese merkwürdig verklärende Weise retrospektiv. Alle großen Nationalisten nehmen ihr Land vordergründig als Schatten einer leuchtenderen Epoche wahr und sich selbst als diejenigen, die das Rad zurückdrehen und das Licht neu entzünden werden. Wie die Zukunft auszusehen hat, sagt ihnen nicht der Verstand, sondern ein mythologisches Gespür.
    Auch sein Auftraggeber träumte von etwas, das es nie gegeben hatte. Aber er schlief auf einem Bett, das mit genügend Geld gestopft war, um Zerrbilder seines Traumes Realität werden zu lassen und ihnen perverses Leben einzuhauchen. Wie immer würde das Ergebnis eine zynische Fratze sein, ein Frankenstein-Monster, getrieben von unerträglicher Selbstbehauptung und zusammengehalten von ein paar schnöden Parolen. Die Träume eines onanierenden kleinen Jungen, aufgebläht zur Orgie.
    Sie alle waren gescheitert, die großen Führer. Einige zugegebenermaßen fulminant. Immer hatten sie es verstanden, Millionen für ihren Auftritt bezahlen zu lassen, bevor sie die Bühne durch den Hinterausgang wieder verließen. Und immer hatten sie selbst bezahlt. Millionen und Milliarden. An Menschen wie Mirko, die überdauerten, weil es ihnen gleich war, welchem Herrn sie gerade dienten.
    Wäre Mirko getrieben gewesen von jeglicher Moral, hätte ihn die Erkenntnis dessen, was der alte Mann vorhatte und was er de facto damit erreichen würde, die schwarze Wand gar nicht erst durchqueren lassen. Die Mission konnte gelingen. Das Resultat hingegen würde seinen Platz finden in der Chronologie menschlichen Versagens.
    Aber Mirko war weit davon entfernt, den Alten darauf hinzuweisen. Es war nicht sein Job. Er hatte sein Leben darauf ausgerichtet, das Geld zu nehmen, das man ihm bot. Was er dafür tat, änderte die Dinge ohnehin nur kurzfristig. Nichts, wofür es sich lohnen würde, ins Lager der Weltverbesserer zu wechseln. Die Menschheit war es gewohnt, Katastrophen zu durchleiden, um sich irgendwann auf die eine oder andere Weise wieder einzupendeln. Der Alte irrte, wenn er ihn für einen Patrioten hielt. Mirkos Treue zum Land erwuchs einzig den Möglichkeiten, die es ihm bot. Zwar fand Mirko, eigentlich müsse auch er ein Gewissen haben, einfach der Komplettierung halber, und manchmal ertappte er sich dabei, Mitleid mit Tieren zu empfinden. Darüber hinaus galt seine aufrichtige Sorge allenfalls dem Tag, an dem er Privilegien einbüßen und nicht mehr würde tun können, was ihm Spaß machte.
    Er drehte die Musik lauter.
    Um ihn herum wurde es Nacht, dann peitschte der Wind schwere Regentropfen gegen die Scheibe. Im nächsten Moment brach eine Sintflut über ihn herein. Er schaltete zurück und fuhr langsamer. Ab jetzt brauchte er seine volle Konzentration. Was immer den Mann, den er heute zum zweiten Mal treffen würde, antrieb, hatte für Mirko keine Relevanz. Der Reiz lag in der Aufgabe selbst, in ihrer Durchführung, dem Lohn und der adrenalinfördernden Gewissheit, dass Versagen das Ende von allem sein würde, auch von Mirko.
    Als er nach einer halben Ewigkeit aus dem Unwetter

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