Lavendel gegen Ameisen
Suerick zögerte einen Moment. «Mir geht’s nicht gut.»
«Sind Sie am Donnerstag den ganzen Abend und die ganze Nacht hiergeblieben?», wollte jetzt wieder Toppe wissen.
«Nein, ich war im Kino.»
Toppe stutzte. Konnten die hier einfach so raus?
«In Kleve?», fragte er.
«Ja.»
«Dafür gibt es doch bestimmt Zeugen», griff van Appeldorn wieder ein.
Suerick schüttelte den Kopf und warf van Appeldorn einen provozierenden Blick zu. «Nein, ich war allein.» Er lachte leise. «Aber ich kann ja den Film erzählen.»
«Sie hatten mit Herrn Landmann zu tun», versuchte Toppe, das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
«O ja.» Suerick ballte die Hände zu Fäusten und kniff die Augen zusammen. «Dieses Schwein», stieß er zwischen den Zähnen hervor. «Der hat mir alles versaut.»
Reimann bewegte sich.
«Ich will nichts mehr sagen», raunte Suerick. «Mir ist schlecht. Ich will in mein Zimmer.»
«Ist gut», sagte der Psychologe und begleitete Suerick zur Tür.
Dann setzte er sich wieder. «Vielleicht kann ich erklären, was Sie wissen möchten.»
«Ja, bitte.»
«Also, Herr Suerick ist 1984 zu fünf Jahren Haft und Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt gemäß § 63 StGB verurteilt worden. Wir hier in der Klinik machen gemäß § 67 e StGB jedes Jahr eine Stellungnahme zum Therapieverlauf und zur Entwicklung unserer Patienten. Wie Sie sicherlich schon wissen, haben wir in unserer letzten Stellungnahme vorgeschlagen, Herrn Suerick bedingt zu entlassen. Er sollte allerdings in einer therapeutischen Wohngemeinschaft weiterbehandelt werden. Der externe Gutachter, der gemäß § 14.3 MRGV ein Gutachten über Herrn Suerick erstellen musste, war der gleichen Ansicht wie wir, und …»
«Augenblick, nicht so schnell», unterbrach Toppe ihn. «Maßregelvollzugsgesetz, klar. Aber worum geht es in § 14.3?»
«Es geht um die Verhältnismäßigkeit der Unterbringungsdauer. Wenn ein Patient länger als drei Jahre bei uns ist, wird ein neues Gutachten erstellt. Bei Suerick sind unsere Stellungnahme und das externe Gutachten zum selben Ergebnis gekommen. Die Strafvollstreckungskammer ist dann in ihrem Beschluss allerdings weder der Stellungnahme noch dem Gutachten gefolgt.»
«Kommt das häufiger vor?», fragte Toppe
«Nein, solange ich hier arbeite, ist es das erste Mal. Wir konnten es nicht nachvollziehen, weil sowohl die Stellungnahme als auch das Gutachten Suerick für durchaus fähig hielten, in einer therapeutischen Wohngruppe zu leben. Suerick hat dann ja auch beim Oberlandesgericht in Düsseldorf Widerspruch eingelegt.»
«Warum sitzt Suerick eigentlich bei euch, Klaus?», fragte van Appeldorn.
Reimann presste die Lippen zusammen. «Tut mir leid, Norbert, aber zu Herrn Suerick selbst werde ich dir nichts sagen. Es sei denn, er gibt mir sein Einverständnis und entbindet mich von meiner Schweigepflicht.»
«Was für ein Bockmist!», schnappte van Appeldorn. «Wir können uns doch jederzeit seine Gerichtsakten besorgen.»
«Dann müsst ihr das wohl tun. Aber warum fragst du mich dann überhaupt?»
«Ich weiß doch Bescheid, bei fünf Jahren und ’nem 63er muss es doch wenigstens Totschlag gewesen sein, und dann noch auf irgendeine perverse Weise. Und so einen wollt ihr dann wieder auf die Menschheit loslassen, na danke.» Er schnaubte.
«Jetzt pass mal auf, Norbert.» Reimann war sichtlich um Ruhe bemüht. «Soll ich mir hier deine dämlichen Vorurteile anhören, oder wollt ihr wirklich etwas wissen?»
«Du sagst uns ja doch nichts», gab van Appeldorn giftig zurück.
«Doch, ich kann dir schon etwas sagen. Zum Beispiel, dass es Patienten gibt, bei denen es überhaupt nicht läuft, und solche, bei denen alles eine optimale Entwicklung nimmt. Und diese Patienten kann man dann auch in externen Betrieben unterbringen. Du kannst davon ausgehen, dass wir das sehr genau prüfen. Und du kannst auch davon ausgehen, dass Freiheiten, sollte es Probleme geben, sofort eingeschränkt werden. Und noch etwas: Suerick hat seit über einem Jahr eine feste Freundin – von außerhalb –, und mit der läuft es sehr gut.»
Van Appeldorn verdrehte die Augen. «Na, dann will ich mal anders fragen: Glaubt ihr tatsächlich, dass man solche Typen heilen kann?»
Reimann lehnte sich zurück und atmete durch. «Eine hundertprozentig sichere Prognose kann dir keiner geben, wenn du das meinst. Aber es gibt doch klare Kriterien, die eine günstige Prognose ermöglichen, das heißt aus deiner Sicht, die dem
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