Lavendel gegen Ameisen
vielen Stellen voller Blut, die Hände und der Unterkörper des Mannes schienen unversehrt. Sein Kopf war zur Seite gedreht und völlig deformiert. Am Hinterkopf trat aus einer großen Wunde grauweiße Hirnmasse aus. Das Gesicht war nicht mehr zu erkennen.
«Mein Gott!»
«Er hat auch noch einen Genickbruch», sagte Bonhoeffer. «Sieht nach einem stumpfen, schweren Gegenstand aus, möglicherweise einer Eisenstange. Die Verletzungen scheinen dem Mann erst beigebracht worden zu sein, als er bereits im Sack steckte. Aber genau kann ich euch das erst morgen sagen. Er ist seit mindestens zwölf Stunden tot.»
Berns hielt einen Autoschlüssel hoch. «Papiere hat er keine. Das hier ist alles.»
Er wollte den Schlüssel in einen Asservatenbeutel stecken, aber Toppe hielt ihn zurück: «Machen Sie doch bitte sofort Abdrücke davon. Es kann sein, dass wir den Schlüssel gleich noch brauchen.»
Dann sah er van Appeldorn aus dem Haus kommen.
«Die Welbers kennen den Wagen nicht», rief der. «Sie meinen aber, es wäre nicht ungewöhnlich, dass um diese Zeit Autos dort stehen. Ich habe den Halter erfragt. Es ist ein Richter, Arno Landmann, wohnt in Materborn.»
Berns gab Toppe den Wagenschlüssel, der hielt ihn van Appeldorn hin.
«Die Marke stimmt.»
«Dann versuche ich’s mal.» Langsam ging Toppe zum Parkplatz hinüber.
Seit vierzehn Jahren war er nun schon in Kleve, zu Hause fühlte er sich nicht. Aber als er sich damals in Düsseldorf in Gabi verliebt hatte, schien es richtig, aus der Großstadt wegzuziehen. Wenn schon eine Familie gründen, dann in einem ruhigen, freundlichen Landstädtchen. Außerdem hatte er durch die Versetzung endlich die Chance bekommen, von der Schutzpolizei zur Kripo zu wechseln, was ihm so viel interessanter und anspruchsvoller erschienen war. Aber dann hatte es sich schnell als nervenaufreibende Routine entpuppt. Herumärgern mit Leuten, die ihn nicht mochten, weil er aus der Großstadt kam, oder warum auch immer. Erst seit der Umstrukturierung der Polizei am Niederrhein, der Einrichtung der getrennt arbeitenden Kommissariate in Kleve, Geldern und Krefeld vor zwei Jahren, schien sich langsam etwas zu ändern. Vorher hatte man ihm bei Fällen wie diesem immer einen Kollegen aus Krefeld vor die Nase gesetzt, der ihm zeigen sollte, wo es langging. Aber dann hatten sie ihn zum Hauptkommissar und Leiter des Ersten Kommissariats ernannt, was bedeutete, dass er endlich selbständig arbeiten konnte, und er war zuversichtlich gewesen. Aber mittlerweile war er nicht mehr sicher, dass wirklich irgendwann einmal professioneller gearbeitet werden würde. Die Menschen hier waren langsam und hingen an dem, was schon immer so gewesen war. Selbst wenn sie es nicht sagten oder es vielleicht nicht einmal wussten.
Der Wagen war ein nagelneuer weißer Saab. Toppe musste an seinen eigenen sieben Jahre alten Passat denken; nun mit dem Haus würde wohl für lange Zeit kein neues Auto mehr drin sein. Vieles wäre einträglicher gewesen als sein jetziger Job. Einträglicher und bequemer. Er wusste ziemlich genau, zu welchem Zeitpunkt er die Kurve nicht gekriegt hatte. Als sein Vater 1955 plötzlich gestorben war, waren seine Träume von Gymnasium und Uni geplatzt. Die hätte seine Mutter allein niemals finanzieren können. Also war er zur Polizei gegangen.
Irgendwann hatte man an der VHS das Abitur nachholen können. Das hatte er dann 1968 auch gemacht. Es war eine harte Zeit gewesen – tagsüber als Schupo in Düsseldorf, abends und an den freien Wochenenden lernen –, aber er hatte sie genossen. Er las gern, dachte gern nach, er war gern allein mit seinen Büchern. Und dann war der Zeitpunkt gekommen, an dem er den Absprung von der Polizei hätte schaffen können. Aber da waren das angenehme Geld gewesen, ein bisschen auch der Traum vom Superkommissar, die Unentschlossenheit eben, und irgendwann Gabi und damit der geradlinige Verlauf.
Der Autoschlüssel passte. Der Wagen war auch innen blitzsauber, kein Stäubchen auf dem Armaturenbrett. Über dem Handschuhfach klebte ein Nichtraucherschild, der Aschenbecher war sicher niemals benutzt worden. Im Fach der Mittelkonsole lagen ein Paar dunkelgraue Lederhandschuhe, eine Sonnenbrille, ein Groschenhalter und ein in Leder eingebundener Notizblock mit Stift. Die Blätter waren leer.
Toppe rutschte auf den Beifahrersitz und öffnete das Handschuhfach – eine Parkscheibe, ein blauer Eiskratzer, ein Stadtplan von Düsseldorf und eine braune Lederbrieftasche. Im
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