Lavendel und Blütenstaub
umgehen. Da schien ihre Geduld unendlich. Bei ihrem eigenen Sohn jedoch stand sie an. Stella fragte sich immer wieder, was sie wohl falsch gemacht hatte.
Sie lehnte sich zurück in ihren großen Ohrensessel und ging im Kopf ihre To-Do-Liste durch. Der Garten ihrer Mutter war gegossen, das Haus versorgt, in der Arbeit hatte sie sich frei genommen. Stand nur noch das Gespräch mit ihrem Sohn an.
Stella erhob sich seufzend und ging bis ans Ende des Flurs. Vor einer dunklen Tür blieb sie stehen. Laute Musik drang heraus. Sie verzichtete auf das Klopfen. Jonathan würde sie sowieso nicht hören, also öffnete sie einfach.
"Jonathan? Hast du kurz Zeit? Wir müssen reden!", versuchte sie sich schreiend und gestikulierend gegen die Musik durchzusetzen.
Im halbdunklen Zimmer konnte Stella ihren Sohn auf dem Bett sitzen sehen. Gelangweilt hob er die Fernbedienung und machte die Musik aus.
"Was ist?", fragte er maulend.
"Wir müssen uns wegen Oma unterhalten."
Stella sah sich beiläufig im Zimmer um. Sie unterdrückte den Impuls, Schmutzwäsche vom Boden aufzuheben oder die Vorhänge zu öffnen. Sie fragte sich, wann das Fenster zum letzten Mal geöffnet worden war. Der Luft nach zu schließen, die zum Schneiden dick war, schien es wohl schon länger her zu sein.
"Was ist mit ihr?"
Stella atmete kurz und flach ein. Nicht zu tief, ermahnte sie sich im Kopf. "Sie ist noch im Krankenhaus. Wie du weißt, sieht es nicht gut aus."
Jonathan nickte. "Mhm. Das hast du gestern schon gesagt."
"Ja, nun ist es so, dass ich heute mit dem Arzt reden möchte, dass sie entlassen wird. Die Medikamente kann sie auch zu Hause erhalten und ich habe mir frei genommen, damit ich mich um sie kümmern kann." Sie brach ab. "Hörst du mir eigentlich zu?"
Jonathan starrte gelangweilt an die Wand. Langsam nickte er. "Und was hat das mit mir zu tun?"
"Ich werde bei Oma schlafen, bis wir eine andere Lösung gefunden haben. Du musst also allein sehen, wie du zurecht kommst."
"Auch gut. Sonst noch was?"
Stella verbiss sich eine Bemerkung und ging stattdessen. Die Tür war kaum ins Schloss gefallen, drehte Jonathan auch schon wieder seine Anlage auf volle Lautstärke auf. Das Bild neben der Tür hüpfte im Takt der Musik.
Stella ging ins Wohnzimmer, schnappte sich ihre Tasche, die bereits fertig gepackt war, nahm den Autoschlüssel und die kleine schwarze Handtasche und schloss die Tür. Immer noch klang die Musik in ihren Ohren nach, wie ein schrilles Echo.
Eine halbe Stunde später war Stella im Krankenhaus. Anna hatte die zweite Nacht hinter sich und würde bestimmt froh sein, wieder nach Hause zu kommen. Sie war zuversichtlich, dass Dr. Werneck der Entlassung zustimmen würde.
"Dr. Werneck? Hätten Sie einen Moment Zeit?"
Sie stand vor seinem Dienstzimmer. Sie hatte gewartet, bis der Arzt von der Visite zurück war. In Gedanken versunken sah er von seinen Notizen auf, die er beim Gehen durchgesehen hatte.
"Ah, Frau Santo. Guten Tag!", sagte er freudig und klemmte die Zettel unter den Arm.
"Guten Tag, Herr Doktor. Sagen Sie bitte Stella zu mir." Sie reichte ihm die Hand.
"Kommen Sie doch herein, Stella." Er öffnete die Tür. "Setzen Sie sich doch. Wie kann ich Ihnen helfen?"
Stella nahm Platz und stellte ihre Handtasche auf die Knie. Nervös knetete sie das schwarze Leder in ihren Händen. "Nun, ich ... ich möchte meine Mutter mit nach Hause nehmen." Offen sah sie Dr. Werneck ins Gesicht. "Ich denke, es wäre das Beste für sie, wenn sie in gewohnter Umgebung sein könnte. Ich habe das Gefühl, dass sie sich hier nicht wohlfühlt und gerne zu Hause wäre in ihrem gewohnten Umfeld und in der Natur. Die Medikamente können ihr doch zu Hause auch verabreicht werden, oder?"
Die Worte sprudelten aus ihr nur so heraus. Sie hoffte, den Arzt überzeugen zu können und nicht abgewiesen zu werden. Ihre Mutter würde es auf keinen Fall tagelang hier aushalten. Dafür kannte Stella sie zu gut.
Erleichtert bemerkte sie, dass Dr. Werneck freundlich nickte.
"Natürlich, Frau Santo … Stella. Wenn Sie für eine Versorgung garantieren können, können Sie Frau Lukas gerne auch zu Hause betreuen. Wir werden Ihnen nicht im Weg stehen. Kontaktieren Sie einfach Ihren Hausarzt, der wird alles weitere übernehmen."
Stella atmete erleichtert aus und lächelte zum ersten Mal an diesem Tag.
Eine halbe Stunde später machte sie sich mit zahlreichen Medikamenten, Rezepten und Anweisungen auf den Weg zu Anna.
"Hallo Mama!" Stella eilte grinsend in das
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