Lavendel und Blütenstaub
als er von Jonathan erfuhr, dass Stella und Anna im Krankenhaus waren. Er war jedoch nicht sauer auf Stella, im Gegenteil, er war besorgt um Anna und fand, dass es gut war, dass Stella mit ihr ins Krankenhaus gefahren war. Wenn Anna Schmerzen hatte, dann sollte sie nicht leiden müssen, sondern schnellstmöglich Hilfe bekommen.
Die Fahrt ins Krankenhaus war ruhig verlaufen. Erwin parkte das Auto und gemeinsam mit Jonathan eilte er zum Portier.
"In welchem Zimmer liegt bitte Frau Lukas?"
Der Portier sah nach. "Palliativstation, Zimmer 9."
"Palliativ?" Erwin sah überrascht. Dr. Werneck hatte am Telefon nicht erwähnt, dass Anna auf der Palliativstation lag. War es schon so schlimm?
Während Erwin voraus eilte, schlurfte Jonathan hinten nach. Ungeduldig drehte sich Erwin um. "Jetzt mach' schon!", rief er dem Jungen zu und eilte weiter.
Erwin hatte von einer Palliativstation ein bedrückendes Bild im Kopf. Er stellte sich Menschen mit aufgedunsenen Gesichtern und Glatzen vor. Schon als er aus dem Lift trat, wurde er jedoch angenehm überrascht. Es war hell und freundlich. Bunte Bilder schmückten die Wände und es roch angenehm nach einem ätherischen Öl. War es Zitrone? Oder Melisse? Ihm fiel es nicht ein.
Am Ende eines langen Ganges mit farbenfrohen Bildern an den Wänden blieb er kurz vor der Zimmertür stehen und holte tief Luft.
Als er Annas Zimmer betrat, war er ebenfalls überrascht. Er befürchtete, seine Mutter würde mit Infusionsschläuchen und bleichem Gesicht im Bett liegen. Stattdessen saß sie aufrecht und lachte. Stella saß neben ihr auf der Bettkante und lachte ebenfalls. Erwin blieb unwillkürlich stehen. Er starrte die beiden an und sagte nichts. Dieses Bild seiner lachenden, fröhlichen Mutter mit seiner jungen, bildhübschen Schwester wollte er sich in sein Gedächtnis einprägen. Er spürte in diesem Moment so viel Liebe zwischen den beiden, dass er fast ein wenig eifersüchtig wurde. Erwin wusste aber, dass er es sich selbst zuzuschreiben hatte, dass er der unbeliebte verlorene Sohn war.
"Hy Mum, hy Oma!", polterte es hinter Erwin. Jonathan betrat den Raum und schlüpfte an Erwin vorbei, der immer noch in der halboffenen Tür stand.
Anna und Stella wandten sich um.
"Erwin! Jonathan! Welch Überraschung!", rief Anna. Sie klang ehrlich erfreut.
Erwin ging zu seiner Mutter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie hatte eine leicht rosige Hautfarbe und sah gut aus. Er war überrascht.
"Ich hab gehört, was passiert ist. Geht es dir schon besser?"
"Aber ja." Anna machte eine unwirsche Handbewegung. "So schnell haut mich nichts um!", rief sie und lachte wieder.
Erwin wollte gerade erleichtert lächeln, als Anna von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Besorgt hob er die Hände, ließ sie jedoch wieder sinken. Er wusste nicht, was er tun sollte.
Stella beugte sich zu ihr und sprach beruhigend auf Anna ein. Nach etwa einer Minute hörte der Hustenanfall wieder auf. Anna trank einen Schluck von dem Becher, den ihr Stella reichte und ließ sich erschöpft ins Kissen zurück fallen.
"Geht's wieder?", fragte Erwin besorgt.
Anna nickte. "Keine Sorge. Das kommt und geht." Dabei tat sie wieder eine unwirsche Handbewegung, als würde eine Fliege um sie herum schwirren.
"Ich wusste gar nicht, dass du hier auf der Palliativstation liegst? Ich hatte zwar mit Dr. Werneck telefoniert, aber davon hatte er nichts erwähnt." Auf Erklärung wartend sah er seine Mutter an. Stella hatte sich in der Zwischenzeit zum Fenster gestellt und blickte stumm hinaus.
Anna nahm noch einen Schluck Wasser, bevor sie antwortete. "Dr. Becker, die Ärztin hier, meinte in der Nacht, dass man mich hier auf der Station besser auf die Medikamente einstellen könne. Das gehört irgendwie neu dosiert, da die Erkrankung voranschreitet."
"Was heißt das?" Erwin war besorgt.
Anna legte den Kopf auf das Kissen und sah ihn an. "Das heißt, dass mein Körper nicht mehr lange mitspielt, Erwin. Der Krebs wächst und breitet sich schneller aus als gedacht. Es wurde heute morgen ein MRT gemacht. Es hat sich alles stark vermehrt." Sie deutete mit einer Bewegung über ihren Unter- und Oberkörper. "Und das in nur wenigen Tagen", fügte sie hinzu und legte ihre Hände auf den Bauch.
Erwin starrte sie an. Ihm fehlten die Worte. Er ging einen Schritt zurück und setzte sich auf einen Stuhl. Er sah zu Stella, die still am Fenster stand. Daneben war Jonathan, der unschlüssig und unbeholfen wirkte. Die Stimmung im Zimmer war
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