Lavendel und Blütenstaub
konnte - mit Johann und mit Valerie. "Ich denke ganz fest daran, mein Sternchen. Und du solltest es auch."
Stella nickte nur.
Anna gab es einen Stich ins Herz, ihre Tochter so traurig zu sehen.
"Frau Lukas?"
Anna drehte sich erschrocken um.
"Verzeihen Sie die Störung. Mein Name ist Hannelore Becker." Eine schlanke Ärztin mit blonden schulterlangen Haaren war zum Tisch getreten und blickte freundlich auf Anna hinab. "Ich bin die Stationsärztin hier. Wie geht es Ihnen, Frau Lukas?" Sie ging in die Hocke und war mit Anna auf Augenhöhe.
"Es geht schon viel besser. Danke, Frau Doktor."
"Das freut mich zu hören. Und Sie sind die Tochter?" Sie sah zu Stella.
Stella nickte. "Guten Tag", sagte sie und schüttelte der Ärztin die Hand.
Dr. Becker wandte sich wieder Anna zu. "Haben Sie noch Schmerzen, Frau Lukas?"
"Nein, momentan nicht", antwortete sie wahrheitsgemäß.
"Sehr gut. Falls die Schmerzen wieder schlimmer werden sollten, scheuen Sie sich bitte nicht und sagen uns sofort Bescheid, in Ordnung?"
Anna nickte.
"Wenn Sie hier fertig sind, können wir den Befund des MRT durchgehen."
Anna erhob sich. "Ich bin fertig", sagte sie schnell. Sie war gespannt auf das Ergebnis und wollte endlich wissen, was in ihrem Körper los war. Stella erhob sich ebenfalls.
Wenig später saßen sie in Annas Zimmer. Die Ärztin hatte die Ergebnisse der Untersuchung vor sich auf dem Tisch liegen. Anna saß auf dem Bett und Stella neben ihr auf einem Stuhl, die Hand ihrer Mutter fest umklammert.
"Nun, Frau Lukas, wie Ihnen letzte Nacht schon mitgeteilt wurde, dürfte sich in den letzten Tagen in Ihrem Körper einiges getan haben, allerdings im negativen Sinne." Sie sah von den Unterlagen auf und blickte Anna direkt an. "Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Das MRT hat gezeigt, dass die beiden Tumore an der Leber gewachsen sind. Weiters haben sich die Metastasen an der Lunge und auch bei den Lymphknoten vermehrt."
"Das bedeutet?", fragte Stella ängstlich. "Es geht noch schneller als gedacht?"
Dr. Becker nickte. "Ja, so sieht es aus. Wir können Ihnen ein Medikament geben, dass das Wachstum der Zellen einbremst, dann hätten sie mehr Zeit."
"Mehr Zeit wofür?"
"Um zu leben."
"Was ist das für ein Leben, wenn ich weiß, dass ich eine tickende Zeitbombe in meinem Körper habe? Können die Medikamente mich heilen?"
Dr. Becker antwortete ehrlich: "Nein."
"Dann will ich diese Medikamente nicht."
Die Ärztin nickte. "In Ordnung. Frau Lukas. Wären Sie damit einverstanden, die weiteren Schritte mit mir durchzugehen?"
In der darauffolgenden halben Stunde erklärte Dr. Becker Anna, was es für Medikamente gegen die Schmerzen gab. Sie sprachen über Wirkung und Nebenwirkung von Morphium und wie es am einfachsten mit dem Schmerzpflaster angewendet werden konnte.
Stella hörte ebenfalls genau zu. Hin und wieder drückte sie Annas Arm, als wollte sie Anna in ihrer Entscheidung bestärken.
Leicht würde es nicht werden, das wusste Anna, aber sie würde erhobenen Hauptes aus dieser Schlacht heraustreten. Der Krebs mochte ihr zwar das Leben nehmen, aber die Würde wollte sie sich bis in den Tod erhalten.
Jonathan
Es war bereits zehn Uhr, als er im Wohnzimmer seiner Oma erwachte. Er sah sich um und war erstaunt, dass er trotz der Geschehnisse der letzten Nacht doch noch geschlafen hatte. Er war lange wach gewesen, unschlüssig darüber, ob er bei seiner Mutter anrufen sollte, um nachzufragen, wie es Oma ging. Er ließ es dann aber. Sie würde sich schon melden.
Er stand auf und ging, nur in Boxershort und T-Shirt bekleidet, in die Küche. Seine Haare waren zerzaust und die dunklen Augen blickten verschlafen. Vor der Kaffeemaschine blieb Jonathan stehen. So ein modernes Gerät wirkte in der altmodischen, einfachen Küche deplatziert. Typisch Onkel Erwin, dachte Jonathan.
Für ihn war es schon fast ein Wunder, dass Oma die Kaffeemaschine überhaupt nutzte. Nicht allzu selten landeten nagelneue Geschenke im Keller, wo sie ihr unbenutztes Dasein fristeten, da Anna sich von den alten, bewährten Dingen nicht trennen konnte.
Während der Kaffee cremig in die Tasse lief, klingelte es an der Tür. Jonathan schlüpfte schnell in frische Jeans, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und öffnete die Tür. Draußen stand Erwin.
"Hallo Onkelchen!", sagte er und bemühte sich unbefangen zu klingen. Unwohlsein machte sich in ihm breit. Was, wenn Stella Erwin nicht angerufen hatte? Er würde wohl kaum hier stehen, wenn er wüsste,
Weitere Kostenlose Bücher