Lavendel und Blütenstaub
Nachdrücklich zeigte sie mit dem Finger auf Jonathan. Ihre blauen Augen blitzten energisch.
Jonathan wusste, dass seine Mutter es ernst meinte. Die Entschlossenheit in ihrem Gesicht war unübersehbar. "In Ordnung", sagte er und trank die Cola aus.
In Annas Zimmer war es ruhig, der Stuhl neben dem Bett war leer. Erwin war wohl schon gegangen. Jonathan hörte seine Mutter erleichtert ausatmen und ärgerte sich. Ihm ging diese Streiterei zwischen ihr und seinem Onkel schon gewaltig auf den Nerv, doch er konnte tun was er wollte, seine Mutter war stur und sein Onkel sah ebenfalls nicht ein, warum er den ersten Schritt machen sollte.
Schon als Kind war Jonathan zwischen Erwin und Stella hin- und hergerissen gewesen. Stella hatte zwar erlaubt, dass er zu seinem Onkel fahren durfte, aber sie wollte nichts von ihm hören, geschweige denn mitfahren. Eigentlich war es ein Wunder, dass er überhaupt Zeit bei seinem Onkel verbringen durfte, aber das war wohl der Sturheit von Erwin zu verdanken. Dieser hatte sich nämlich berufen gefühlt, eine väterliche Rolle in Jonathans Leben zu spielen und über Anna war der Kontakt hergestellt worden. Irgendwann war Jonathan dann groß genug gewesen, um selbst mit dem Bus zu seinem Onkel fahren zu können oder Erwin hatte ihn direkt von der Schule abgeholt.
Stella hatte die beiden gewähren lassen. Wusste sie doch tief in ihrem Inneren selbst, dass der Junge eine väterliche Person brauchte. Sie hätte es sich jedoch nie eingestanden, geschweige denn offen zugegeben.
Trotz alledem war das Verhältnis zwischen Stella und Erwin nie über ein schweigsames Begrüßungsnicken hinausgegangen. Jonathan war dies schon sehr zuwider und je älter er wurde, desto unverständlicher wurde für ihn dieser jahrelange Streit.
Mit einem genervten Seitenblick sah er zu seiner Mutter, die leise zu Annas Bett getreten war. Anna schlief und sah zufrieden aus. Stella setzte sich neben sie und sah sie stumm an. Jonathan stand unschlüssig an der Tür. Schließlich hob er die Hand und deutete Stella, dass er gehen wollte. Sie sah kurz auf und nickte.
Jonathan schlich zur Tür raus, froh, endlich das Krankenhaus mit all den bedrückenden Personen und Gerüchen verlassen zu können. Erleichtert spielte er in seiner Hosentasche mit dem Haustürschlüssel zwischen den Fingern. Er konnte es kaum erwarten wieder nach Hause zu kommen und die Musik ungestört aufdrehen zu können.
Anna
Er war wieder da. Dieser fröhliche kleine Junge. Sie saß unter dem Nussbaum auf der Bank und beobachtete ihn, wie er aus der Hecke hervorlugte.
"Wie heißt du?", fragte sie.
"Weißt du das nicht?"
Sie dachte nach. Wollte das Unterbewusstsein ihr mit diesem Traum einen Streich spielen? "Ich weiß es nicht", sagte sie schließlich.
Der Junge sah erstaunt auf. "Du hast meinen Namen vergessen." Es war keine Frage; es war eine Feststellung. Er wirkte traurig.
"Aber nein!", beruhigte sie ihn schnell. Sie dachte nach. "Heißt du Justus?", fragte sie zögernd.
Der Junge grinste. "Du hast mich also erkannt, Schwesterchen!" Er lachte und es ertönte hell und fröhlich im Garten. Die Klänge verbreiteten sich in sanften Schwingungen.
Sie lächelte. "Wie lange wirst du da noch hinter der Hecke hocken bleiben? Wieso kommst du nicht herein in den Garten?"
Der Junge schüttelte den Kopf. "Du hast mich doch ausgesperrt, schon vergessen?"
"Was?" Sie war erstaunt. "Warum sollte ich dich ausgesperrt haben?"
Er lachte wieder. "Na, du mit deiner Hecke da! Und dann noch dieser Zaun! Was sollte das denn? Willst du mich nicht hereinlassen?"
Sie blickte überrascht. Was sagte er da? Verwirrt schüttelte sie den Kopf und wollte etwas erwidern, doch der Junge war verschwunden.
Stella
Sie sah so friedlich aus. Stella betrachtete in Ruhe das Gesicht ihrer Mutter und bewegte sich so wenig wie möglich. Sie wollte sie nicht wecken. Endlich schien sie einmal schmerzfrei und tief zu schlafen. Stella gönnte ihr das.
Das Gespräch mit Anna über ihren Tod war für sie sehr schwer gewesen. Einerseits konnte sie ihre Mutter verstehen, auch sie würde lieber in Würde und schmerzfrei sterben wollen, auch wenn der Preis dafür ein baldiges Ende war. Andererseits hätte sie gerne mehr Zeit mit ihrer Mutter verbracht. Es war schwer für sie, Anna gehen zu lassen. Und doch wusste sie, dass ihr keine andere Wahl blieb.
Stella sah in der Erfüllung von Annas letztem Wunsch kein Problem. Nur zu gerne würde sie ihre Zeit ihrer
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