Lavendel und Blütenstaub
schlagartig ernst geworden, die Fröhlichkeit von vorhin war wie weggeblasen.
Stella
Für einen kurzen Augenblick hatte sie mit ihrer Mutter die schlimme Lage vergessen können. Bevor Erwin und Jonathan gekommen waren, hatten sie über frühere Zeiten gesprochen. Dabei war Anna eine Geschichte eingefallen, die Stella schon vergessen hatte.
Stella war noch ein kleines Mädchen gewesen, als sie mit Anna, Johann und Erwin auf Urlaub in den Bergen gewesen war. Es war Ostern und der Schnee gerade erst geschmolzen. Trotz der frühen, kühlen Zeit im Jahr wollten die vier ein paar Tage an der frischen Luft verbringen und erste kurze Wanderungen in diesem Jahr wagen. Stella war erst fünf Jahre alt gewesen, Erwin mit fünfzehn schon ein Jugendlicher, der trotz anfänglicher Skepsis begeistert von der Abwechslung war.
Auf dem Weg durch Wald und Wiesen, die in der langsam wärmer werdenden Sonne immer mehr ergrünten, entdeckte Stella immer wieder ein Osterei und jauchzte vor Vergnügen. Einmal behauptete Anna sogar, den Osterhasen gesehen zu haben, und Stella war enttäuscht gewesen, dass sie nicht schneller gegangen war. So hatte sie zwar ein rotes Ei gefunden, aber keinen Osterhasen gesehen. Er soll laut Anna eine blaue Latzhose, ein kariertes Hemd und ein Käppchen aufgehabt haben!
Stella hatte diese Geschichte schon beinahe vergessen gehabt. Nun hatte sie sich wieder daran erinnert und mit Anna gelacht, froh um die gemeinsamen Erinnerungen.
"Dass du dich nicht gewundert hast, wo die Eier, die du gefunden hast, denn hingekommen sind. Ich müsste ja eine ganze Tasche voll Eier gehabt haben!", hatte Anna gekichert. "Es waren immer dieselben, die ich wieder versteckt hatte und du hattest nichts bemerkt."
Stella hatte aus vollem Hals gelacht. Es tat gut, einmal die schlimmen Dinge beiseite schieben zu können und an etwas Schönes zu denken.
In diesem Moment war Jonathan hereingestürmt und Anna und Stella wurden in die schlimme Wirklichkeit zurückkatapultiert.
Und nun saß Erwin einfach nur da, schwieg und starrte. Stella konnte es nachempfinden. Er war wohl so verzweifelt wie sie. Nichts desto trotz schaffte sie es nicht, zu ihm hinzugehen, um ihn und ihre Mutter zu umarmen. Das ließ ihr verletzter Stolz nicht zu, auch wenn der Streit zwischen ihr und Erwin schon lange zurücklag.
Sie gab sich innerlich einen Schubs und wandte sich Jonathan zu. "Komm, gehen wir runter in die Cafeteria."
So konnten Mutter und Sohn einen Augenblick allein sein. Es war für alle nicht leicht, das musste auch Stella einsehen.
Anna
Minuten, nachdem Stella gegangen war, saß Erwin immer noch regungslos da und sagte nichts. Anna lag zurückgelehnt in ihrem weißen Kissen, die Beine unter einer dünnen Decke. Die Hände lagen, die Finger ineinander gefaltet, auf ihrem Bauch. Durch den dünnen Stoff des Krankenhaus-Nachthemdes konnte sie die leichte Wölbung der stark vergrößerten Leber spüren. Sie senkte und hob sich langsam mit jedem Atemzug. Es war wie ein Mahnmal, dass ihr ständig zuwisperte: "Ich töte dich! Ich töte dich!" Anna versuchte die Stimme zu ignorieren, aber es gelang nicht immer.
Vom gekippten Fenster wehte eine leichte Brise in das Zimmer. Von Fern konnte sie einen Vogel zwitschern hören. Durch einen nächtlichen Regenguss hatte es ein wenig abgekühlt. Anna atmete die frische Luft, die sich in das Zimmer verirrt hatte, dankbar ein. Beim nächsten Atemzug mischte sich jedoch schon wieder die sterile Luft des Raumes mit der Atemluft. Der kurze Hauch von Natur war wieder verflogen.
Erwin räusperte sich. "Wie wird es jetzt weitergehen?"
Anna drehte den Kopf und sah ihren Sohn offen an. "Ich weiß es nicht", antwortete sie ehrlich. "Ich hoffe aber, dass ich noch ein paar Wochen halbwegs fit erleben kann." Ernst sah sie ihm direkt in die Augen, streckte ihre Hand aus und legte sie auf seine Hände, die nervös mit den Fingern spielten. "Erwin, versprich mir eines: Stellt euch nicht gegen die Krankheit. Du und Stella, ihr müsst es bitte akzeptieren!"
Erwin wollte etwas erwidern.
"Nein, sag jetzt nichts! Lass mich bitte ausreden. Glaub mir, ich habe sehr mit meinem Schicksal gehadert, nachdem euer Vater gestorben war. Es hat lange gedauert, aber ich habe es akzeptiert. Es war sein Weg, seine Bestimmung. Trotz des raschen und unerwarteten Endes hatten wir zuvor viele, viele schöne Jahre. Wir haben uns geliebt und respektiert. Sein Weg war mit zweiundsechzig zu Ende, meiner wird es mit
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