Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen
als fünfunddreißig.
» Mrs. Lake, Madam.« Der Butler verbeugte sich höflich.
»Kommen Sie rein, Mrs. Lake. Bitte, setzen Sie sich doch.«
Die Worte wurden mit einer kühlen, kultivierten Stimme gesprochen, doch Lavinia hörte die Anspannung in dieser Stimme. Diese Frau lebte unter großer Anspannung.
Lavinia setzte sich in einen der gestreiften, vergoldeten
Sessel und versuchte so auszusehen, als wäre sie es gewöhnt, sich in einem so möblierten Zimmer zu unterhalten. Sie fürchtete sehr, dass ihr schlichtes Musselinkleid, das früher einmal lebhaft rotbraun gewesen war und jetzt eher die Farbe von schwachem Tee angenommen hatte, sie verriet. Ihre Bemühungen, das Kleid wieder in seiner Originalfarbe zu färben, waren nicht sehr erfolgreich gewesen.
»Danke, dass Sie Zeit für mich hatten, Mrs. Dove«, sagte Lavinia.
»Wie konnte ich Ihnen die verweigern, nachdem Sie eine so faszinierende Karte abgegeben haben?« Joan Dove zog ihre elegant gebogenen Augenbrauen hoch. »Darf ich fragen, woher Sie meinen Namen kennen, wo ich doch ziemlich sicher bin, dass wir einander noch nie begegnet sind?«
»Das ist kein Geheimnis. Ich habe einfach eine der Kinderfrauen im Park gefragt. Mir wurde gesagt, dass Sie eine Witwe sind, die hier mit ihrer Tochter lebt.«
»Ja, natürlich«, murmelte Joan. »Die Leute reden.«
»Wegen meiner Arbeit verlasse ich mich ab und zu auf solches Gerede.«
Joan klopfte abwesend mit der Visitenkarte gegen die Armlehne des Sofas. »Was genau ist die Art Ihrer Beschäftigung, Mrs. Lake?«
»Das werde ich Ihnen später erklären, wenn es Sie dann immer noch interessiert. Zunächst einmal möchte ich Ihnen den Grund für meinen Besuch heute nennen. Ich glaube, wir haben, oder sollte ich lieber sagen, wir hatten, einen gemeinsamen Bekannten, Mrs. Dove.«
»Und wer sollte das sein?«
»Sein Name war Holton Felix.«
Joan zog in höflicher Verwirrung die Augenbrauen zusammen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich kenne niemanden mit diesem Namen.«
»Wirklich nicht? Ich habe Ihre Adresse in einem Buch gefunden, das neben seinem Bett lag.«
Sie stellte fest, dass sie Joans volle Aufmerksamkeit besaß. Sie war nicht sicher, ob das ein gutes Zeichen war. Aber jetzt konnte sie nicht mehr zurück. Eine Frau in ihrem Beruf musste darauf vorbereitet sein, den kühnen Weg zu gehen.
»In einem Buch neben seinem Bett, sagen Sie?« Joan saß sehr still auf dem Sofa, ihr Blick war starr. »Wie eigenartig.«
»Eigentlich ist das nicht so eigenartig wie sein Beruf. Er war ein Erpresser.«
Schweigen war die Antwort auf ihre Bemerkung.
»War?«, fragte Mrs. Dove dann vorsichtig.
»Als ich gestern Abend die Bekanntschaft von Mr Felix machte, war er tot. Ermordet, um es ganz genau zu sagen.«
Bei ihren Worten erstarrte Joan ein wenig. Die Reaktion zeigte sich in nicht mehr als einem kleinen, ungewollt scharfen Atemzug und einem leichten Zusammenziehen der Augen, doch Lavinia wusste, dass ihr Gegenüber einen Schock erlitten hatte.
Joan erholte sich schnell, so schnell, dass Lavinia sich schon fragte, ob sie sich ihre Reaktion auf die Nachricht von Felix' Tod nur eingebildet hatte.
»Ermordet, sagen Sie«, wiederholte Joan, als hätte Lavinia nur eine Bemerkung über das Wetter gemacht.
»Jawohl.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Ganz sicher.« Lavinia faltete die Hände. » Mrs. Dove, ich will ganz offen sein. Ich weiß sehr wenig über Holton Felix, aber was ich weiß, ist nicht gerade erfreulich. Er hat versucht, mich zu erpressen. Ich bin heute hierher gekommen, um herauszufinden, ob auch Sie zu seinen Opfern gehören.«
»Was für eine vollkommen unverschämte Frage«, erklärte Joan schnell. »Als wenn ich einem Erpresser Geld bezahlen würde.«
Lavinia legte den Kopf ein wenig schief, in höflicher Zustimmung. »Ich war genauso abgestoßen von seinem Versuch, mich zu erpressen. In der Tat war ich so wütend darüber, dass ich mir die Mühe gemacht habe, Mr Felix' Adresse herauszufinden. Deshalb bin ich auch gestern Abend in seiner Wohnung gewesen. Ich habe eine Zeit am Abend gewählt, wo ich ziemlich sicher war, dass er nicht zu Hause sein würde.«
Joan sah fasziniert aus. »Warum um aller Welt haben Sie das getan?«
Lavinia zuckte leicht mit den Schultern. »Ich bin dorthin gegangen, um ein gewisses Tagebuch zu suchen, von dem Felix behauptete, dass es sich in seinem Besitz befand. Es stellte sich heraus, dass er doch zu Hause war. Als ich bei ihm ankam, hatte bereits jemand anderes
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