Lavinia & Tobais 01 - Liebe wider Willen
belaubten Zweige eines Baumes zur Seite, um die Adresse auf dem kleinen Zettel zu überprüfen. Hazelton Square Nummer vierzehn lag in der Mitte einer Reihe von vornehmen Stadthäusern, gegenüber eines üppig grünen Parks. Elegante, neue Gas-Straßenlampen standen vor dem Eingang eines jeden Hauses.
Ein Gefühl des Unbehagens rann durch ihren Körper, als sie die beiden vornehmen Kutschen betrachtete, die auf der Straße warteten. Sie wurden von glänzenden, wundervoll zueinander passenden Pferden gezogen. Die Kutscher, die die Zügel hielten, trugen teure Livreen. Während Lavinia zusah, trat eine Dame aus dem Haus Nummer siebzehn und kam die Treppe hinunter. Ihr blass rosafarbenes Ausgehkleid mit dem dazu passenden langen Mantel kam offensichtlich von einer Schneiderin, die reiche, modebewusste Kunden belieferte.
Das war nicht ganz die Nachbarschaft, die sie erwartet hatte, als sie sich heute Morgen auf den Weg gemacht hatte. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass Holton Felix mit einer Person, die in einer so eleganten Gegend wohnte, bekannt gewesen war, geschweige denn, dass er versucht hatte, jemanden aus dieser Gegend zu erpressen.
Sie betrachtete die Häuser vorsichtig. Es wäre nicht einfach, sich hier Zugang zu verschaffen. Dennoch sah sie keine andere Möglichkeit, als es wenigstens zu versuchen. Die Adresse, die sie in der Hand hielt, war der einzige Hinweis, den sie im Augenblick besaß. Sie musste schließlich irgendwo anfangen. Sie bereitete sich auf die Aufgabe vor, überquerte die Straße und ging die weiße Marmortreppe vor dem Haus Nummer vierzehn hinauf. Sie hob den schweren Messingklopfer und klopfte damit an, wie sie hoffte, autoritär genug.
Gedämpfte Schritte waren im Flur zu hören. Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet. Ein hochmütig aussehender Butler, der gebaut war wie ein großer Bulle, blickte auf sie hinunter. Sie konnte an dem Ausdruck seiner Augen erkennen, dass er sich bereits entschlossen hatte, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Hastig zog sie eine der neuen weißen Visitenkarten hervor, die sie im letzten Monat in der Druckerei bestellt hatte.
»Würden Sie diese Karte bitte Ihrem Arbeitgeber vorlegen«, bat sie mit fester Stimme. »Es ist sehr dringend. Mein Name ist Lavinia Lake.«
Der Butler warf einen verächtlichen Blick auf die Karte. Er überlegte ernsthaft, ob er sie überhaupt annehmen sollte.
»Ich denke, Sie werden feststellen, dass ich erwartet werde«, erklärte Lavinia in ihrem eisigsten Ton. Es war eine offensichtliche Lüge, doch mehr fiel ihr im Augenblick nicht ein. »Sehr wohl, Madam.« Er trat einen Schritt zurück, um sie in die Eingangshalle zu lassen. »Sie können hier warten.«
Lavinia holte tief Luft und trat schnell über die Schwelle. Die erste Hürde habe ich genommen, dachte sie. Sie war im Haus.
Der Butler verschwand in den dunklen Flur. Lavinia nahm die Gelegenheit wahr, sich umzusehen. Die schwarzen und weißen Fliesen und die kunstvoll gerahmten und vergoldeten Spiegel an den Wänden zeugten von erlesenem Geschmack und einer ganzen Menge Geld.
Sie hörte die Schritte des zurückkehrenden Butlers und hielt den Atem an. Als er erschien, wusste sie sofort, dass ihre Karte Wirkung gezeigt hatte.
» Mrs. Dove wird Sie empfangen. Hier entlang, bitte, Madam.«
Sie begann wieder zu atmen. Das war der leichteste Teil ihrer Aufgabe gewesen. Jetzt stand die wesentlich schwierigere Aufgabe vor ihr, eine Fremde dazu zu bringen, mit ihr über Erpressung und Mord zu reden.
Sie wurde in ein großes Gesellschaftszimmer geführt, das in Gelb, Grün und Gold eingerichtet war. Die Polstermöbel waren mit gestreiftem Seidenstoff bezogen. Schwere grüne Samtvorhänge wurden von gelben Kordeln zusammengehalten und boten einen Ausblick in den Park. Ihre Schritte dämpfte ein dicker Teppich in den gleichen Tönen.
Eine bemerkenswert elegante Frau saß auf einem der vergoldeten Sofas. Sie war in ein außergewöhnlich modisches Kleid aus blasser, silbergrauer Seide gekleidet. Ihr Haar hatte sie zu einem eleganten Knoten hochgesteckt, der ihren anmutig langen Hals noch betonte. Aus einiger Entfernung hätte man sie für eine Frau von Anfang dreißig halten können. Doch als Lavinia näher kam, entdeckte sie die feinen Linien um die intelligenten Augen und die weiche Haut ihres Halses und des Kinns, die einmal recht fest gewesen zu sein schien. In ihrem honigfarbenen Haar zeigten sich silberne Strähnen. Die Dame war wohl eher fünfundvierzig
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