Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
Nummer 17 war alles still. Sie schlich zur Kirchentür und holte aus ihrem Ridikül ihre neuen Dietriche.
Sie erlebte eine Enttäuschung, als sie merkte, dass sie für das Öffnen des Schlosses viel mehr Zeit benötigte, als es bei Tobias der Fall gewesen wäre. Aber schließlich hörte sie das befriedigende Klicken, das ihr verriet, dass sie es geschafft hatte.
Sekundenlang hielt sie den Atem an, öffnete die Tür und betrat verstohlen den rückwärtigen Flur. Auf der linken Seite führte eine schmale, für die Dienstboten bestimmte Treppe nach oben. Eine Verlockung, der sie nicht widerstehen konnte.
Ihre Intuition sagte ihr, dass Aspasia ihre Geheimnisse - falls sie denn welche hatte — im oberen Geschoss in ihren Privaträumen verstecken würde.
Tobias setzte sich an seinen Schreibtisch und öffnete das Rechnungsbuch des ermordeten Perückenmachers. Zwar wusste er nicht, was er diesmal zu entdecken hoffte, wurde aber das Gefühl nicht los, beim ersten Mal etwas Wichtiges übersehen zu haben.
Vergangenen Abend hatte er zu Lavinia gesagt, dass er herausfinden wolle, wer Zachary Eiland und Pierce das Handwerk des
Mordens gelehrt hatte. Später aber hatte er in seinem Bett von Perücken geträumt, vom Rechnungsbuch und von Pierce, der Lavinia eine kleine Visitenkarte überreichte.
Als er kurz vor Tagesanbruch erwachte, wusste er, dass der Fall absolut noch nicht abgeschlossen war. Es gab noch einen Mörder, einen, der bald wieder zuschlagen würde.
Emeline stand mit Priscilla im Vestibül des Institutes und beobachtete, wie Anthony und Dominic die Treppe heraufkamen.
Beide waren wieder elegant und modisch gekleidet und ließen keine Anzeichen von gegenseitiger Feindseligkeit erkennen. Dennoch merkte sie an ihrem ernsten und gemessenen Gehaben, dass etwas nicht stimmte.
»Wenn du mich fragst, haben sie Leichenbittermienen«, sagte Priscilla.
Emeline fiel Lavinias Schilderung ein, wie Anthony und Dominic mit Mr March den Leichnam des Friseurs gefunden hatten. »Der Anblick, der sich ihnen letzte Nacht in Mr Piere' Schlafzimmer bot, muss grässlich gewesen sein.«
Priscilla schluckte. »Es ist verständlich, wenn sie heute keinen Sinn für einen wissenschaftlichen Vortrag haben. Ich bin ja selbst nicht sonderlich in Stimmung. Schrecklich, wenn man sich Mr Pierce in seinem eigenen Blut liegend vorstellt ... er war so jung und hübsch und talentiert.«
»Allerdings, und wenn es uns schon schwer fällt, kann man nur ahnen, was es für Anthony und Dominic bedeutet. Ich weiß, dass die beiden schon den Verlust etlicher lieber Menschen beklagen mussten, doch hörte ich Tobias zu Tante Lavinia sagen, dass keiner jemals Augenzeuge eines so grausamen und blutigen Endes wurde.«
»Ich schlage vor, wir lassen den Vortrag und suchen ein Lokal, in dem wir Limonade bekommen und uns ruhig unterhalten können«, sagte Priscilla.
»Ausgezeichnete Idee.«
Der Eintrag im Rechnungsbuch des Perückenmachers war so knapp wie aufreizend.
Eine Perücke mittlerer Länge aus hellem Haar.
Preis und Verkaufsdatum waren fein säuberlich angeführt, doch fehlte jeder Hinweis auf die Identität der Person für die sie bestimmt war. Tobias grübelte lange über dem Datum. Es war nicht an der Tatsache zu rütteln, dass die Perücke zwei Tage nach der Hausparty bei den Beaumonts verkauft worden war. Der Mörder konnte sie also nicht auf dem Schloss getragen haben.
Es musste schon früher eine blonde Perücke verkauft worden sein. Es konnte keinen anderen Grund für den Mord am Perückenmacher geben. Vielleicht hatte Swaine die Farbe bei einer seiner Transaktionen zu vermerken vergessen. Anstatt das Buch nach Verkäufen blonder Perücken zu durchforsten, hätte Tobias gut daran getan, jeden Eintrag getrennt zu überprüfen und zu sehen, ob er etwas von Bedeutung übersehen hatte.
Elegante Damen benutzten eine Vielzahl phantasievoller Namen, um die Farbe ihrer Kleider zu beschreiben, rief er sich in Erinnerung. Er hatte gehört, wie Lavinia und Emeline mit Wörtern und Phrasen wie Russisches Feuer, Aurora und Pomona um sich geworfen hatten, als sie die neuesten Tönungen und Schattierungen besprachen. Womöglich hatte der Perückenmacher ein anderes Wort anstatt gelb oder blond zur Beschreibung einer hellen Perücke gewählt.
Emeline hielt Priscillas Blick über dem Tischchen mit einem unmerklichen Nicken fest und ihre Freundin reagierte mit einem wissenden Zwinkern. Den Vortrag zu schwänzen, war die richtige Entscheidung
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