Lavinia & Tobais 03 - Skandal um Mitternacht
Gentleman.«
Tobias sah auf den Toten hinunter. »Wie sein Bruder.«
Kurz vor Tagesanbruch ging Lavinia mit Tobias zu Aspasia, um ihr die Nachricht zu überbringen. Diese kam sofort herunter, als ihre verschlafene Haushälterin den Besuch meldete. Sie war offenbar noch im Bett gewesen, Lavinia aber fiel auf, dass sie es irgendwie geschafft hatte, sehr elegant in einem Morgenmantel aus dunklem Satin, weichen Lederpantoffeln und einem Spitzenhäubchen zu erscheinen.
»Pierce hat sich erschossen?« Aspasia sank auf das Sofa. »Du lieber Himmel ... wie Zachary.«
»Nachdem Anthony und Dominic ihn heute Nacht beinahe auf frischer Tat ertappten, muss ihm klar geworden sein, dass er erledigt war«, erklärte Tobias.
Lavinia, die ihn beobachtete, als er vor den dunklen Kamin trat, spürte die Anspannung, die ihn erfüllte. Genauso war er gewesen — rastlos und nachdenklich —, als sie ihm die Tür geöffnet hatte. Das große Glas, das sie ihm von dem Brandy einschenkte, hatte ihn nicht zu entspannen vermocht. Er hatte ihr berichtet, was sich zugetragen hatte. Als er sagte, er wolle Aspasia die Nachricht überbringen, hatte sie beschlossen, ihn zu begleiten.
»Ich verstehe es nicht«, sagte Aspasia und umfasste krampfhaft den Rand ihres Morgenmantels am Hals. Sie schien sehr verwirrt. »Wie Sie sagten, hatte er großen Vorsprung. Warum ist er nicht einfach außer Landes geflohen?«
»Ich will nicht vorgeben, dass ich wüsste, was in ihm vorging«, sagte Tobias. »Doch bei der ganzen Affäre war es ihm von Anfang an darum zu tun, seinen Brud er nachzuahmen. Vielleicht ent schloss er sich, die Welt so wie Zachary zu verlassen, als er merkte, dass man ihm auf der Spur war.«
»Von eigener Hand.« Aspasia schloss kurz die Augen. »Es ist alles so schrecklich.«
»Tobias sprach heute in den Slums mit einer alten Frau, die früher Babys und Kinder verkaufte«, sagte Lavinia leise. »Vor vielen Jahren vermittelte sie zwei Jungen an einen Mann, der behauptete, er hätte keine Nachkommen und wolle Leh rj ungen, die einmal sein Gewerbe übernehmen könnten.«
»Ihr Kunde muss der erste Mementomori-Mann gewesen sein«, sagte Tobias, ohne den Blick vom kalten Kamin zu wenden. »Die Jungen scheinen tatsächlich in seine Fußstapfen getreten zu sein.«
»Und nun sind beide tot«, murmelte Lavinia.
Die klapprige Droschke, die sie zu Aspasias Adresse gebracht hatte, wartete auf der Straße, als sie kurz darauf gingen. Tobias half Lavinia beim Einsteigen, stieg dann selbst ein und setzte sich ihr gegenüber. Im schwachen Schein der Innenbeleuchtung wirkte sein Gesicht streng und grimmig.
»Ich weiß, wie dieser Fall dir zusetzt.« Sie fasste nach dem
Handgriff, als das betagte Gefährt sich mit einem Ruck in Bewegung setzte. »Aber jetzt ist er vorüber.«
»Ja.« Er blickte hinaus in die frühe Morgendämmerung.
Sie spürte seine finstere Stimmung und wusste, dass er Gefahr lief, in seinem eigenen kleinen Höllenwinkel zu versinken.
»Bei Sonnenlicht wirst du dich bestimmt erholt haben«, versicherte sie ihm.
»Zweifellos.«
Sie zerbrach sich den Kopf nach einem Mittel, um den Eispanzer zu durchbrechen, der ihn zu umgeben schien. Als ihr nichts einfallen wollte, entschied sie sich für den direkten Weg.
»Also gut, Tobias, heraus damit. Für jemanden, der eben die Untersuchung eines Mordfalles erfolgreich abschloss, bist du in seltsamer Stimmung. Was stimmt nicht?«
Momentan glaubte sie nicht, dass er antworten würde. Schließlich aber drehte er den Kopf und schaute sie an.
»Pierce war nicht viel älter als Anthony und Dominic«, sagte er tonlos.
Plötzlich begriff sie.
»Und nicht viel älter als Sweet Ned.« Sie nahm seine großen Hände in ihre. »Tobias, du kannst nicht alle retten. Du tust ohnehin, was du kannst. Und mehr ist nicht möglich. Es genügt. Es muss genügen. Wenn du dich mit dieser Wahrheit nicht abfindest, ergibst du dich einem Gefühl der Verzweiflung, so dass es dir letztlich unmöglich werden wird, überhaupt jemanden zu retten.«
Seine Finger umklammerten ihre heftig. Das Ungewitter in seinen Augen drohte sie in die Tiefen mitzureißen. Er blieb stumm, doch zog er sie nach einer Weile in die Arme.
Sie hielten einander umfangen, bis die Droschke vor ihrer Haustür anhielt.
Tobias kletterte hinaus, half ihr beim Aussteigen und ging mit ihr die Stufen hinauf. Sie öffnete ihr Ridikül und kramte nach ihrem Schlüssel.
»Da wäre noch etwas«, sagte er und sah zu, wie sie den Schlüssel ins
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