LaVyrle Spencer
verbrachte sie
größtenteils in ihrem Zimmer, während er sich tagelang in der juristischen
Bibliothek in der Universität aufhielt, die täglich rund um die Uhr geöffnet
hatte.
Eines Abends kam er nach Hause, müde
vom Studieren und gelangweilt von der nüchternen Atmosphäre in der Bibliothek
und den trockenen Gesetzestexten. Während er seinen Mantel aufhängte, lauschte
er auf ein Geräusch von oben. Aber alles war still; das Klappern der
Schreibmaschine war verstummt. Er ging die Treppe hinauf und fand Catherines
Zimmer leer und dunkel vor. Hastig lief er wieder nach unten und fand eine
Nachricht auf dem Wohnzimmertisch.
»Schlechte Neuigkeiten. Grovers Baby
wurde zu früh geboren. Bin im Horizons. Bis später.« Sie hatte nur mit
einem »C« unterzeichnet.
Das Haus kam ihm ohne sie still und
leblos wie ein Grab vor. Er machte sich ein Sandwich und starrte durch die
Schiebetür in das Schneetreiben hinaus. Er wünschte, sie hätten einen Weihnachtsbaum, aber sie hatte mit
dem Hinweis abgelehnt, daß sie keinen Baumschmuck besäßen. Er dachte über ihre
kalte, ablehnende Haltung ihm gegenüber nach und fragte sich, wie ein Mensch
sich so in die Isolation verkriechen konnte, wie sie es tat. Er war daran
gewöhnt, in einer Umgebung zu leben, in der die Menschen am Abend gemeinsam
beim Dinner saßen, miteinander sprachen oder im selben Zimmer in
freundschaftlichem Schweigen lasen oder sich anderweitig beschäftigten. Er
vermißte die harmonische Atmosphäre seines Elternhauses sehr,
stellte sich den riesigen Weihnachtsbaum vor, der jetzt dort im Salon stand;
das anheimelnde Knistern des
Kaminfeuers; die Besuche der Tanten und Onkel, die Geschenke brachten. Zum
ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich, Weihnachten würde schnell
vergehen.
Dann schlenderte er müßig nach oben
und zog seinen Jogginganzug an, in dem er es sich auf der Couch bequem machen wollte. Vor der Tür zu
Catherines Zimmer blieb er stehen, ging hinein und knipste die Schreibtischlampe
an. Mit den Fingerspitzen fuhr er über die Tasten der Maschine, las ein paar
Sätze des getippten Textes und ließ den Blick über die Bücher und Papierstöße
auf dem Tisch schweifen. Plötzlich blieb sein Blick auf der Ecke eines
aufgeschlagenen Buches haften, das unter einem Papierstoß hervorlugte. Er zog
es hervor und sah Catherines Handschrift, die eine halbe Seite bedeckte.
»Clay ist heute abend wieder
ausgegangen ...« stand da. Hastig schob er das Buch zurück, denn er hatte das
Gefühl, bei einer Missetat ertappt worden zu
sein. Doch dann konnte er der Versuchung nicht widerstehen und legte das
Tagebuch auf die Schreibmaschine.
»Clay ist heute abend wieder
ausgegangen, kam aber früher als das letzte Mal zurück. Ich versuche, nicht
daran zu denken, wohin er geht, kann aber die Gedanken nicht verdrängen. Ich
fühle mich im Haus sehr einsam ohne ihn, aber ich darf mich nicht daran
gewöhnen, ihn um mich zu haben.
Heute machte er den Vorschlag, einen
Weihnachtsbaum zu kaufen, aber wie sehr ich mich auch danach sehnte – wozu soll es gut sein? Es ist nur ein weiterer
Brauch, den wir nächstes Jahr nicht mehr teilen werden. Heute trug er sein
braunes Samtjackett, das er damals anhatte ...«
Hier endete ihre Eintragung.
Er ließ sich auf ihren Stuhl sinken,
starrte noch immer auf die Worte und las die Zeilen noch einmal, obwohl er
Gewissensbisse hatte, auf diese Weise in ihre Intimsphäre einzudringen. Dabei
sah er sie vor sich, wie sie sich vor ihm in diesem Zimmer verkroch und ihre
geheimsten Gefühle dem Tagebuch anvertraute, anstatt mit ihm darüber zu reden.
»Heute trug er sein braunes Samtjacket, das er damals anhatte ...« und fragte
sich, wie sie den Satz beendet hätte. Ihm gegenüber hatte sie nie seine
Kleidung erwähnt. Er hatte nicht einmal geglaubt, daß sie überhaupt wahrnahm,
was er trug. Aber dieser Satz ..
Er schloß die Augen, erinnerte sich
daran, wie sie zu ihm gesagt hatte, daß sie es nicht ertragen konnte, von ihm
berührt zu werden. Verband sie angenehme Erinnerungen mit dem braunen Jackett?
Er dachte an den Streit, den sie wegen Jill gehabt hatten. Noch einmal las er:
»Ich fühle mich im Haus sehr einsam ohne ihn.«
Verwirrt und betroffen schob er das
Tagebuch wieder unter den Papierstoß, knipste die Lampe aus, ging ins
Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Blicklos starrte er auf den
Fernsehschirm, ließ drei Werbespots an sich vorbeiflimmern, den Anfang einer
Fernsehshow, ehe er wieder hinaufging und
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