Lawinenexpreß
Wargrave.
»Sag das noch einmal, dann kriegst du von mir eins verpaßt…«
»Dann müssen sie auf besseres Wetter gewartet haben.«
Das Wetter wurde tatsächlich besser; der stürmische Wind hatte nachgelassen. Auch der schwere Seegang auf der geschützten Maas war geringer geworden, als Wargrave beobachtete, wie das große Motorboot schneller wurde und auf die offene See zusteuerte – in Richtung Maxim Gorkij. »Wollen wir versuchen, ihm den Weg abzuschneiden?« schlug Elsa vor.
»Zu spät, aber er könnte uns genau dorthin führen, wohin wir wollen.«
Wargrave ging zurück auf die Brücke, wo Leonides am Ruder stand und sich zunehmend wohler fühlte. Er wurde mit dem Boot vertrauter, ließ die Maschinen noch stärker arbeiten und genoß das sonore Brummen. Sie befanden sich jetzt schon fast in der Mitte des Flusses zwischen den beiden Ufern. Vor ihnen lag die offene See. »Halte dich hinter dem Motorboot…«, befahl Wargrave. »Es bringt uns direkt zur Gorkij …«
In der Fahrerkabine des Lastwagens mit der Persenningabdeckung saß General Scholten selbst am Steuer. Major Sailer saß neben ihm auf dem Beifahrersitz. Scholten lenkte das schwere Fahrzeug auf der gewundenen, einsamen Landstraße auf eine Stelle an der Maasmündung zu. Auf der Ladefläche lag ihre schreckliche Fracht – die vier Leichen der ehemaligen Geiger-Terroristen, die noch immer ihre scheußliche ›Uniform‹ trugen. Zwischen Scholten und Sailer lag eine große Signallampe auf der Sitzbank.
Als sie weiterfuhren, war es eher Nacht als Tag; über ihnen hingen in geringer Höhe schwere, dunkle, schnell dahinfliegende Wolken. Scholten fuhr nur mit Standlicht. Er wollte vermeiden, mit weithin sichtbaren Scheinwerfern auf sich aufmerksam zu machen. »Glauben Sie, wir kommen damit durch?« fragte Sailer.
»Wir haben eine gute Chance. Eins habe ich Ihnen noch gar nicht gesagt – inzwischen wird meine Frau der Nachrichtenagentur einen weiteren anonymen Tip gegeben haben, daß nämlich das Gerücht gehe, die Geiger-Gruppe habe sich eines unserer Torpedoboote bemächtigt. Das Ende der ganzen Geschichte könnte verdammt ironisch werden.«
»Ironisch?« fragte Sailer.
»Das GRU kontrolliert die Geiger-Gruppe – obwohl wir das nie haben beweisen können. Auf Moskau wartet eine sehr böse Überraschung.«
Das Motorboot mit Oberst Igor Scharpinsky und Rolf Geiger an Bord hielt auf die Maxim Gorkij zu und durchpflügte die See mit hoher Geschwindigkeit. Der Sturm flaute ab. Das Boot fuhr auf den Ärmelkanal zu; die Schrauben wirbelten schäumendes Kielwasser auf, als das Boot durch die Wellen raste. Das Schiff vor ihnen mit den Zwillingsschornsteinen, dessen Masten vor elektronischer Ausrüstung starrten, stieß Rauchwolken aus, als es zu seiner schnellen Fahrt zum Kattegatt, zur Ostsee und nach Leningrad ansetzte. Es wartete nur noch auf das Eintreffen des schweren Motorboots, dann würde Kapitän Morow den Befehl geben: »Volle Kraft voraus…«
Hinter dem Motorboot durchpflügte Wargraves Torpedoboot mit Höchstgeschwindigkeit die See. Leonides stand am Ruder, während Anna Markos, den Skianzug vom sprühenden Gischt durchnäßt, mit gespreizten Beinen am Maschinengewehr hockte, um das Gleichgewicht zu halten. Elsa, die ihr Nachtglas auf das sowjetische Schiff gerichtet hielt, entdeckte als erste das auf dem Deck der Gorkij montierte Maschinengewehr, dem auf Befehl Rykins die Persenning abgenommen worden war. An einer anderen Stelle des Decks, an der Ladung festgezurrt war, hatte sich eine weitere Persenning gelöst, die im Wind flatterte.
»Sie haben ein Geschütz an Deck«, sagte sie warnend zu Wargrave, der neben ihr stand. »Und ich glaube, ich kann sogar einen Panzer sehen…«
»Wahrscheinlich ein Panzerspähwagen…«
»Leckereien für die hungernden Afrikaner«, bemerkte Elsa säuerlich.
Wargrave verließ sie, um Leonides Anweisung zu geben, er solle das Torpedoboot in die erforderliche Position bringen. Sein Blick fiel auf die beiden Torpedorohre. Torpedos waren die Hauptbewaffnung des Boots, und er versuchte, sich an die präzisen Instruktionen zu erinnern, die ihm ein holländischer Torpedoboot-Kapitän einmal während eines Probelaufs gegeben hatte. Er würde nur eine Chance haben, alles richtig zu machen. Er betrachtete die beiden Knöpfe, einen für jeden Torpedo. Er war keineswegs sicher, daß er es schaffen würde, selbst bei dieser ruhigeren See.
Durch ihr Nachtglas konnte Elsa jetzt die Leiter sehen, die vom Deck des
Weitere Kostenlose Bücher