Lawinenexpreß
sagte er zu Kist.
Der Holländer stieg aus und eilte hinter eine Baumgruppe. Er öffnete seine Gürtelschnalle, zog die kleine elektronische Sendekapsel, die dahinter versteckt gewesen war, und legte sie neben einen Feldstein. Auf den Feldstein kritzelte er einen etwas mißratenen Pfeil, der nach Süden zeigte. Als er zum Wagen zurückging, nestelte er an seinem Reißverschluß herum. Kist hatte nicht die Absicht, eine Leibesvisitation durch die mißtrauische Erika zu riskieren, wenn sie erst einmal am Ziel waren – und er hatte keinerlei Chance, die Kapsel am Mercedes anzubringen. Mit einem ungeduldigen Schnauben fuhr Erika wieder los.
Hinter ihnen hatte das von Scholten in Dordrecht stationierte Venlo-Team das Piepsen der kleinen Sendekapsel aufgefangen, nachdem der Mercedes die Stadt erreicht hatte. Ein neutraler Lastwagen, in dem sechs der holländischen Scharfschützen saßen, hielt sich mindestens zwei Kilometer hinter Geigers Wagen und folgte dem Piepsen in südlicher Richtung.
Kurz nachdem sie angehalten hatten, um Kist zum Austreten aussteigen zu lassen, fuhr Erika plötzlich von der Hauptstraße ab und bog auf einen Feldweg ein, der durch ein kleines Wäldchen zu einer von der Straße nicht sichtbaren Scheune führte. Hinter der Scheune stand ein großer Tankwagen, mit dem die übrigen Angehörigen der Geiger-Gruppe ihren Bestimmungsort erreicht hatten. Er war mit einem besonderen Belüftungssystem ausgerüstet und besaß eine in der Rückwand ausgeschnittene Eingangstür. Die Terroristen waren in einem leeren Benzintank vor der Scheune angekommen.
Geiger stieg sofort aus dem Wagen und betrat die Scheune. Es war eine seltsame Szene. Weder die Umgebung – die Scheune mit ihrem strohbedeckten Fußboden und ihrem Gestank nach Tierlosung – noch die sechs Männer in schwarzen Skimasken, Windjacken und Skihosen paßten zu dem eleganten Armenier.
»Alles fertig zur Sprengung der Maasbrücke?« fragte er.
Der Anführer des eigentlichen Sabotagetrupps, Jacek Wojna, ein hünenhafter, mehr als einen Meter fünfundachtzig großer und unheimlich wirkender Pole, antwortete. »Die Bomben sind fertig. Ich habe ursprünglich Zeitzünder benutzen wollen, aber die könnten versagen – ich werde die Ladungen jetzt aus der Ferne elektrisch zünden.«
»Und die Wachen auf der Brücke?« erkundigte sich Geiger in scharfem Ton.
»Nur zwei.« Wojna umfaßte die Automatik, die er in der Hand hielt. »Die sind ein Kinderspiel. Und das Fluchtboot liegt bereit…«
»Sie müssen warten, bis der Expreß sich genau auf der Mitte der Brücke befindet«, beharrte Geiger.
»Auch das versteht sich von selbst«, erwiderte Wojna gleichgültig. »Wir werden bald mit dem Tankwagen losfahren…«
Er erstarrte. Eine plötzliche Spannung erfüllte die Scheune. Die Männer in Skimasken umklammerten ihre automatischen Waffen und sahen Wojna an, als erwarteten sie von ihm Hilfe und Rat. Aus der Ferne ertönte der Motorenlärm eines Hubschraubers, der immer näher kam. Geiger wandte sich an Erika. »Wir müssen sofort losfahren – und unseren Freund aus dem Atlantik-Expreß abholen…«
In General Scholtens Kommandozentrale strömten auch weiterhin Meldungen zusammen – Berichte von Wagen, die illegal nach Holland kamen, was bei der unübersichtlich verlaufenden Grenze sehr leicht war; Meldungen vom Kommandeur der Torpedoboote aus der Rheinmündung, daß weitere schnelle Motorboote zur Maxim Gorkij unterwegs seien. Es war aber besonders ein Bericht, der die Aufmerksamkeit des Abwehrchefs erregte.
»Diese Meldung von dem Hubschrauberpiloten, Sailer. Er erwähnt, er habe südlich von Dordrecht draußen auf dem Land einen Tankwagen und einen Mercedes gesichtet…«
»Wahrscheinlich macht der Fahrer nur eine kleine Pause.«
»Die Fahrer, meinen Sie wohl – da sind zwei Fahrzeuge. Eine kleine Pause einlegen, sagten Sie? Bei diesem Wetter? An so einem gottverlassenen Ort?«
»Scheint tatsächlich ein bißchen eigenartig…«
»Und es ist in der Nähe der Maas«, fuhr Scholten fort und betrachtete die Wandkarte. »Mehr noch – der Platz befindet sich nahe der Stelle, an der sie Joop Kists Sendekapsel gefunden haben.« Er stand auf. »Wie dem auch sei – wir müssen jetzt zu unserem Rendezvous aufbrechen. Ich glaube, wir haben sie endlich gefunden. Gott sei Dank. Fahren Sie wie der Teufel, wenn wir erst mal im Wagen sitzen…«
»Jetzt erinnere ich mich, wo ich Scharpinsky gesehen habe…«
Der Atlantik-Expreß befand sich jetzt
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