Lawinenexpreß
ständig und liebte es, in kritischen Momenten Witze zu reißen. Der Schweizer, der einen eleganten, dunkelblauen Anzug trug, war liebenswürdig und gesprächig, ein Kettenraucher, der ständig in Bewegung war. Mit einer Hand strich er sich über den gepflegten Schnurrbart, mit der anderen goß er Kaffee ein.
Sein Hinweis auf ihre letzte Begegnung hatte Wargrave ein wichtiges Ereignis in seiner Laufbahn in Erinnerung gerufen. Er setzte sich in einen bequemen lederbezogenen Lehnstuhl und nahm die Tasse mit starkem Kaffee entgegen. Damals hatte er Springer geholfen, einen kommunistischen Spionagering zur Strecke zu bringen, der von Genf aus operiert hatte. Drei der sowjetischen Agenten waren ums Leben gekommen; zwei von ihnen hatte Wargrave selbst erschossen.
»Ich bin gelegentlich geschäftlich in der Schweiz, Leon«, bemerkte er. »Ich hätte dich schon früher einmal besuchen sollen.«
Springer lehnte sich in seinen drehbaren Bürostuhl zurück und strich sich von neuem über den Schnurrbart, während er aus dem Fenster blickte. Draußen fiel leichter Schnee auf die alten Gebäude und Türme einer der schönsten Städte Europas. Wargrave beobachtete die Handbewegung mit plötzlich erhöhter Aufmerksamkeit; sie deutete darauf hin, daß der Schweizer sich in einer Streßsituation befand. »Du hast also deine alte Liebe um der friedlicheren Welt der Geschäfte willen aufgegeben?« wollte der Schweizer wissen. Habe ich da nicht eben einen Anflug von Skepsis entdeckt? fragte sich Wargrave.
»So friedlich ist sie gar nicht«, erwiderte er leichthin. »Das Geschäftsleben kann ein ebenso wilder Dschungel sein, und in ihm gilt das gleiche Gesetz – nur der Tüchtigste überlebt.« Er nippte an seinem brühheißen Kaffee. »Der einzige Unterschied besteht darin, daß sie nicht auf dich schießen – jedenfalls nicht oft.«
»Nur der Tüchtigste überlebt?« wiederholte der Schweizer. »Im Angesicht der Sowjets ist das eine Lektion, die viele unserer weichen westlichen Politiker noch lernen müssen – bevor es zu spät ist, und dafür bete ich inständig. Immerhin danke ich Gott, daß Joseph Moynihan im Weißen Haus sitzt – sein Vorgänger war ein Waschlappen.«
»Du sprichst mir aus dem Herzen…« Wargrave wechselte das Thema; er wollte das Gespräch um jeden Preis von Moynihan ablenken. »Wie geht es dir jetzt überhaupt? Brigadier Traber ist gesund und munter, hoffe ich?«
Springers scharfe Augen zogen sich zusammen: Der Engländer hatte ihm genau das Stichwort gegeben, auf das er gewartet hatte. »Ich werde ihm deine Grüße ausrichten.« Er machte eine Pause. »Es würde uns beiden noch weit besser gehen, wenn wir ein sehr besorgniserregendes Problem lösen könnten. Ich nehme an, du würdest darauf bestehen, daß du außer Diensten bist, wenn ich dich bitten würde, uns bei der Lösung dieses Problems zu helfen – außer Diensten und nur noch als Geschäftsmann tätig?« fügte er bedeutungsvoll hinzu.
»Sag mir ruhig, was für ein Problem das ist, Leon.«
»Du hast so viele Verbindungen, Harry, kennst so viele Leute, die dir von früher her noch verpflichtet sind. Bist du in der Lage, dich an einen dieser Leute zu wenden und ihn zu bitten, herzukommen und in einer kniffligen Sache Nachforschungen anzustellen?« Er machte wiederum eine Pause. »Ich muß der Fairneß halber sagen, daß das Risiko total sein könnte – und außerdem würde ich nicht erfahren wollen, wen du für diese Aufgabe auswählst…«
»Ich sagte, nur heraus damit.«
Springers Haltung änderte sich plötzlich. Er beugte sich über den Schreibtisch, und die Augen blickten gespannt und intensiv die Habichtsnase entlang. »Wir haben Grund zu der Annahme, daß in dem strategisch wichtigen Gebiet um Andermatt eine größere kommunistische Zelle operiert. Einer meiner Männer, den ich zu Nachforschungen dorthin geschickt hatte, wurde kürzlich am Rhone-Gletscher tot aufgefunden – in einem der Eistunnel. Er schien eines natürlichen Todes gestorben zu sein – bis meine Gerichtsmediziner die winzige Einstichstelle an der Schädelbasis fanden. Wir wissen noch immer nicht, welches Gift injiziert wurde.«
»Der Vorfall beweist aber, daß da oben in den Bergen irgend etwas vorgeht?«
»Genau. Das Problem ist nur, daß ich einen unbefangenen Mann brauche, der sich das Gebiet um Andermatt mal ansieht – einen Nicht-Schweizer, der, weil er ein Fremder ist, vielleicht etwas entdeckt, was wir übersehen würden. Ich will dir diese Sache nicht
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