Lawinenexpreß
um jeden Preis aufdrängen – vor allem deshalb nicht, weil du einen deiner Freunde bitten müßtest, den Auftrag zu übernehmen…«
»Die Sache ist so gut wie erledigt.«
Wargrave trank seinen heißen Kaffee mit drei Schlucken aus. Er verspürte nicht den Wunsch, noch länger bei dem Obersten herumzusitzen, sosehr er ihn auch mochte. Zuviel Konversation konnte gefährlich werden. Beim Verlassen von Springers Hauptquartier fühlte er sich hochzufrieden: Er hatte seine häufigen Besuche in der Schweiz hinreichend erklärt und seine Verbindung zur schweizerischen Abwehrorganisation durch seine Bereitschaft gefestigt, ihr zu helfen.
In dem Augenblick, in dem der Engländer das Gebäude verlassen hatte, rief Springer seinen Chef, General Arthur Traber, über das Scrambler-Telefon an. An diesem Tag stattete Traber seinem Hauptquartier in Bern, der Schweizer Hauptstadt, einen Besuch ab. »Irgendeine neue Entwicklung an der Andermatt-Front?« fragte er, als er Springers Stimme hörte.
»Wargrave hat mich endlich besucht. Ich wußte, daß er kommen würde – früher oder später. Er hat mir weismachen wollen, daß er nur in seiner Eigenschaft als Geschäftsmann öfter in die Schweiz kommt. Entscheidend ist aber, daß er sich bereit erklärt hat, jemanden nach Andermatt zu schicken.«
»Haben Sie eine Ahnung, wen?« fragte Traber.
Springer gluckste, bevor er antwortete. »Sie erwarten doch wirklich nicht im Ernst, daß er mir das gesagt hat, oder, Herr General? Er ist ein einsamer Wolf, und gerade das macht ihn so effektiv. Der Mann jongliert mit drei Bällen, ohne daß es jemand merkt. Es kann aber sehr gut sein, daß er Erfolg hat, wo wir uns haben geschlagen geben müssen – das ist schon früher so gewesen.« Springer lachte wieder vor sich hin. »Er sagte mir, er sei jetzt in Geschäften hier unterwegs.«
»In Abwehrgeschäften?«
»Davon bin ich überzeugt. Was ich aber nicht begreife, sind diese allmonatlichen Besuche in Zürich. Er kommt an jedem ersten Dienstag eines Monats aus Montreal, nimmt sich ein Zimmer – immer in einem anderen Hotel –, verbringt dort die Nacht und fliegt am Mittwoch nach Montreal zurück. Warum Montreal?«
»Das würde ich gern von Ihnen hören.«
»Ich kann’s Ihnen nicht sagen. Unsere Leute am Flughafen durchleuchten ihn nach allen Regeln der Kunst, aber dabei bleibt es. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, daß hier eine sehr wichtige, eine wirklich hochwichtige Sache abläuft…«
Wargrave ging auf Umwegen zum Hotel Schweizerhof zurück – für den Fall, daß er verfolgt wurde. Das war zwar unwahrscheinlich, aber diese Vorsichtsmaßnahme war ihm schon seit langem in Fleisch und Blut übergegangen. Er nahm ein Taxi zur Quaibrücke – der letzten Brücke vor dem See –, bezahlte den Fahrer, wartete, bis eine Straßenbahn abfuhr, auf die er im letzten Moment aufsprang. Wenige Minuten später sprang er wieder ab, als sich gerade die automatischen Türen schlossen, und ging mit raschen Schritten durch die Bahnhofstraße zum Hotel Schweizerhof.
Sofort nach der Ankunft in seinem Zimmer meldete er ein Ferngespräch an. Er mußte lange warten und rauchte mehrere Zigaretten, während die Verbindung über verschiedene europäische Telefonzentralen hergestellt wurde. Um drei Uhr nachmittags – er hatte sich inzwischen einen Lunch aufs Zimmer kommen lassen – läutete das Telefon. Er sprach weniger als drei Minuten und sagte das, was er zu sagen hatte, durch die Blume; sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung verstand aber sehr wohl, was gemeint war. »Andermatt, ja«, waren seine letzten Worte, bevor er auflegte. Und selbst Wargrave merkte nicht, daß er soeben eines der entscheidendsten Telefongespräche seiner Laufbahn geführt hatte.
Es war Dienstag, der 2. Dezember, als Wargrave sein Telefongespräch führte. Am folgenden Morgen, am Mittwoch, dem 3. Dezember, übernahm Elsa Lang die zwölfte Kassette von Peter Necker, dem ›Kellner‹ mit der weißen Jacke. Dies geschah im Menschengewimmel des Basler Bundesbahnhofs, nur Sekunden, bevor Necker von zwei Männern des KGB abgefangen wurde – den beiden, die am Ende in einem Überseekoffer gefunden wurden, der sich in den Felsblöcken des Schaffhausener Rheinfalls verfangen hatte.
Und es war diese zwölfte Kassette, welche die dringende Warnung Angelos ›übermittelte, man möge etwas gegen Marschall Pratschkos Unternehmen Donnerschlag‹ tun. Es war diese Kassette, die Präsident Joseph Moynihan
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