Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lawinenexpreß

Lawinenexpreß

Titel: Lawinenexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
Vom Netzwerk:
veranlaßte, die gigantische Luftstreitmacht in den riesigen C-5A-Transportmaschinen in die Bundesrepublik zu schicken, um das sowjetische Politbüro zu warnen. Die Reaktionen auf die Kassette waren enorm und machten sich weltweit bemerkbar.
    Die eilig einberufene Sondersitzung des sowjetischen Politbüros war auf zwanzig Uhr Moskauer Zeit angesetzt worden. Es war Freitag, der 5. Dezember. Eine große schwarze ZIL-Limousine nach der anderen fuhr durch das Hauptportal des Kreml auf den Innenhof. Jeder Fahrer – alle waren KGB-Männer – trug einen flachen weichen Filzhut mit schmaler Krempe und einen schweren blauen Mantel. Leonid Sedow, der Erste Sekretär der KPdSU, traf als erster ein. Er kam von seiner Wohnung in dem neungeschossigen Wohnhaus Kutusow-Prospekt 26. General Sergej Marenkow, der die Wohnung über Sedow bewohnte, traf als nächster ein, wenige Minuten später gefolgt von Anatolij Sarubin, dem Minister für Handel und Außenwirtschaft.
    Der letzte, der um drei Minuten vor acht ankam, war Marschall Grigorij Pratschko, wie immer in voller Uniform und mit glitzernden Rangabzeichen auf den Schulterklappen; auf der Brust glänzten die Reihen seiner Orden. Warum kommt er immer als letzter? fragte sich der Zyniker Leonid Sedow. Um sich einen dramatischen Auftritt zu verschaffen, natürlich. Sedow eröffnete die Sitzung in dem Augenblick, in dem Pratschko seinen schweren Körper in einen Stuhl gezwängt hatte.
    Es war eine von Bitterkeit und beißenden Bemerkungen bestimmte Sitzung. Die Gemäßigten standen den Verfechtern eines harten Kurses unversöhnlich gegenüber. Endlich einmal verfügten die Gemäßigten über genügend Munition, um einen Frontalangriff auf Marschall Pratschko und dessen Anhänger zu eröffnen. Pratschko hörte eine Stunde lang in ungewohntem Schweigen zu.
    »Sie haben die Amerikaner dazu provoziert, zu handeln… die Moral der kapitalistischen Länder des Westens ist auf nie gekannte Höhen gehoben worden… Sie haben die Chancen unserer Genossen in Frankreich und Italien geschmälert, die Regierungsgewalt auf legalem Weg zu übernehmen… Ihr Säbelrasseln ist ein Rohrkrepierer gewesen, es hat uns ein volles Jahrzehnt zurückgeworfen…«
    Pratschko, der kein hinterhältiger politischer Taktiker war, wartete bewußt, bis die Offensive verebbt war, und trat dann – erfahrener General, der er war – zum Gegenangriff an. Er machte eine theatralische Szene, als er einen Aktenordner öffnete und einen maschinengeschriebenen Bericht hervorholte, den er vor sich auf den hochglanzpolierten Tisch legte. Als er zu sprechen begann, reflektierten seine Orden das Licht der Kronleuchter.
    »Ich habe hier einen von Oberst Igor Scharpinsky erstellten streng geheimen Bericht; Genosse Marenkow, der Vorgesetzte Scharpinskys, hat ebenfalls ein Exemplar. Wie Sie wissen, arbeitet Oberst Scharpinsky als Verbindungsoffizier zwischen GRU und KGB. Er hat die Angelegenheit für so gefährlich für die Sicherheit unseres Staates angesehen, daß er mir diesen Bericht vorgelegt hat…«
    »Einen Augenblick!« Es war Leonid Sedow, der an der Stirnseite des langen Konferenztischs sitzende Erste Sekretär, der interveniert hatte. Der sechzig Jahre alte Sedow war ein gutgebauter Mann von mittlerer Größe mit dichtem ergrauendem Haar und einem merkwürdig geformten Kinn – es ging das Gerücht, er habe sich vor kurzem wegen irgendeiner Krankheit operieren lassen, über die niemand etwas wußte. Er wandte sich an General Marenkow, den Chef des KGB, der Pratschko unter buschigen Augenbrauen mit leidenschaftslosem Starren musterte. »General Marenkow, würden Sie es vorziehen, über diesen Bericht selbst zu referieren?«
    »Ich habe nichts dagegen, daß der Marschall seinen Inhalt bekanntgibt. Wie er soeben gesagt hat, kann der Ernst des Berichts kaum übertrieben werden.«
    »Dann werde ich fortfahren«, grunzte Pratschko. »Das ›Unternehmen Donnerschlag‹ wurde Hunderte von Kilometern von den Grenzen der Länder des Warschauer Paktes mit denen der NATO-Staaten entfernt durchgeführt – es ist also selbst unter den Bedingungen der sogenannten Entspannung nicht nötig gewesen, die NATO von den Manövern zu unterrichten. Und außerdem hatten die amerikanischen Himmelsspione keinerlei Möglichkeit, den wahren Zweck der Manöver zu erkennen«, fuhr der Marschall fort. »Sie sind noch nicht so weit, daß sie aus der Luft Wegweiser lesen können«, setzte er sarkastisch hinzu. »Und trotzdem reagiert der amerikanische

Weitere Kostenlose Bücher