Lawinenexpreß
Bescheid gesagt«, sagte sie sehr leise.
»Das konnte ich nicht…«
»Du Dreckskerl!« Sie stand plötzlich auf, holte mit der rechten Hand aus und versetzte ihm einen harten Schlag ins Gesicht. Dann kam sie zur Besinnung, umarmte ihn und vergrub das Gesicht an seiner Brust. »Harry, du Dreckskerl… Dreckskerl… Dreckskerl.« Ihr Körper, der sich an ihn preßte, zitterte und bebte. Er hob ihr Kinn, bis sich ihre Augen trafen. »Keine Tränen«, sagte er warnend. »Wenn du zu Haller zurückgehst, mußt du normal aussehen. Keine geschwollenen Augen…« Er hielt sie fest, bis das Zittern aufhörte, dann hielt er sie auf Armeslänge von sich. Ihre Augen glänzten feucht, aber sie hatte die Tränen zurückgehalten. »Gutes Mädchen…«
»Ich muß scheußlich aussehen.« Sie wandte sich ab und besah sich prüfend im Wandspiegel. Ihre schwarze Perücke war verrutscht; ihre Hornbrille war während des Kampfes zu Boden gefallen, aber unbeschädigt geblieben. Sie machte sich zurecht, während sie sich weiter unterhielten. »Du hast gesagt, keine Tränen – soll das heißen, ich soll zurückgehen, ohne ihnen etwas zu sagen?«
»Haargenau das – jedenfalls für den Augenblick.«
»Julian ist deinetwegen ziemlich niedergeschmettert. Er hat zwar nicht viel gesagt, aber ich merke es ihm an. Ihn kannst du doch unmöglich im Verdacht haben?«
»Julian Haller ist der beste Agent, den Washington je hervorgebracht hat. Du mußt mir nur vertrauen. Beim jetzigen Stand der Dinge kann ein Mann, der draußen ist – außerhalb der beiden letzten Waggons –, sehr nützliche Arbeit leisten.«
Er sagte ihr nicht alles, was er wußte. Das spürte Elsa sehr deutlich, aber inzwischen hatte sie die Situation akzeptiert. In der Vergangenheit hatte der immer unorthodoxe Harry Wargrave, der einsame Wolf, schon so oft recht behalten. »Aber Phillip John weiß doch Bescheid«, hob sie hervor.
»Er weiß nur, daß ich am Leben bin. Er glaubt, ich sei noch in Mailand und würde das Unternehmen von dort aus leiten. Und«, fuhr er sanft fort, »ich konnte dich wirklich nicht vorwarnen – bist du sicher, daß du überzeugend hättest reagieren können, wenn du die Wahrheit gewußt hättest?«
»Nein«, gab sie zu. »Kann ich gelegentlich mal vorbeikommen und dich heimlich treffen?«
»Aber selbstverständlich. Und in regelmäßigen Abständen. Ich muß alles wissen, was in den hinteren Schlafwagen vorgeht. Noch etwas – es kann jeden Augenblick passieren, daß General Traber mir einen dringenden Funkspruch aus Zürich schickt. Der Funkspruch wird von jemandem sein, der sich Leros nennt. Den bringst du mir sofort her…«
»Dein Funker, Peter Necker, hält dich für tot – jedenfalls nehme ich an, daß er dich für tot hält.« Sie runzelte die Stirn. »Du hast ihm nichts gesagt? Nein? Komisch – ich bin zu ihm gegangen, um es ihm zu sagen, und wenn ich es recht bedenke, hat er die Nachricht ziemlich ungerührt aufgenommen…« Sie lächelte schwach und sah Wargrave mit einem Anflug von Stolz an. »Als hätte er nicht glauben können, daß man dich so leicht erledigen kann.« Sie sah sich ein letztes Mal prüfend im Spiegel an und setzte ihre Hornbrille auf, dann sah sie Wargrave ins Gesicht. »Wenn ich wirklich so aussähe wie jetzt, würdest du mich dann überhaupt eines Blickes würdigen?«
Er faßte ihr an Kinn und küßte sie voll auf den Mund. »Und das ist etwas, was du Julian nicht berichtest«, sagte er mit gespieltem Ernst. »Er hält nichts von geschlechtlichem Umgang unter Agenten.«
»Ich gehe jetzt lieber«, sagte sie hastig. »Oh, beinahe hätte ich es vergessen. In Chiasso sind drei Mörder zugestiegen, aber die Schweizer Abwehr hat sie geschnappt.« Sie erzählte ihm rasch, ‘was sich ereignet hatte. Wargraves Reaktion überraschte sie. Er hörte mit halbgeschlossenen Augen zu, dann nahm er sie in Verhör.
»Ein bißchen zu offenkundig, nicht wahr?« bemerkte er. »Die Leute vom KGB sind sonst weit besser. Das stinkt meilenweit nach Ablenkungsmanöver – diese Sache sollte unsere Wachsamkeit erlahmen lassen.« Sein Tonfall wurde drängend. »Versuche Haller klarzumachen, daß du das Gefühl hast, wir gerieten allmählich in eine Gefahrenzone. Es kann sein, daß die Festnahme dieser drei Schlägertypen ihn beruhigt hat.« Er klopfte ein unregelmäßiges Zeichen aufs Waschbecken. »Klopfe so, wenn du zurückkommst – dann weiß ich, daß du es bist. Und sieh um Gottes willen zu, daß Haller begreift – ich spüre,
Weitere Kostenlose Bücher